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– Nein! Noch einen Augenblick! Sie sagten noch nichts von dem
Meisterstücke dieser Schwarzkünstler, welche Weiss, Milch und Unschuld
aus jedem Schwarz herstellen: – haben Sie nicht bemerkt, was ihre
Vollendung im Raffinement ist, ihr kühnster, feinster, geistreichster,
lügenreichster Artisten-Griff? Geben Sie Acht! Diese Kellerthiere voll Rache
und Hass – was machen sie doch gerade aus Rache und Hass? Hörten Sie je
diese Worte? Würden Sie ahnen, wenn Sie nur ihren Worten trauten, dass Sie
unter lauter Menschen des Ressentiment sind?…
– »Ich verstehe, ich mache nochmals die Ohren auf (ach! ach! ach! und die
Nase zu). Jetzt höre ich erst, was sie so oft schon sagten: »Wir Guten – wir
sind die Gerechten« – was sie verlangen, das heissen sie nicht Vergeltung,
sondern »den Triumph der Gerechtigkeit«; was sie hassen, das ist nicht ihr
Feind, nein! sie hassen das »Unrecht«, die »Gottlosigkeit«; was sie glauben
und hoffen, ist nicht die Hoffnung auf Rache, die Trunkenheit der süssen
Rache (– »süsser als Honig« nannte sie schon Homer), sondern der Sieg
Gottes, des gerechten Gottes über die Gottlosen; was ihnen zu lieben auf
Erden übrig bleibt, sind nicht ihre Brüder im Hasse, sondern ihre »Brüder in
der Liebe«, wie sie sagen, alle Guten und Gerechten auf der Erde.«
– Und wie nennen sie das, was ihnen als Trost wider alle Leiden des Lebens
dient – ihre Phantasmagorie der vorweggenommenen zukünftigen Seligkeit?
– »Wie? Höre ich recht? Sie heissen das »das jüngste Gericht«, das
Kommen ihres Reichs, des »Reichs Gottes« –einstweilen aber leben sie »im
Glauben«, »in der Liebe«, »in der Hoffnung.«
– Genug! Genug!
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Zur Genealogie der Moral
- Titel
- Zur Genealogie der Moral
- Autor
- Friedrich Wilhelm Nietzsche
- Datum
- 1887
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 148
- Kategorie
- Geisteswissenschaften