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Zur Genealogie der Moral
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sogar Etwas, das man hier kluger Weise nicht erwarten, woran man jedenfalls nicht gar zu leicht glauben soll. Gewiss ist durchschnittlich, dass selbst bei den rechtschaffensten Personen schon eine kleine Dosis von Angriff, Bosheit, Insinuation genügt, um ihnen das Blut in die Augen und die Billigkeit aus den Augen zu jagen. Der aktive, der angreifende, übergreifende Mensch ist immer noch der Gerechtigkeit hundert Schritte näher gestellt als der reaktive; es ist eben für ihn durchaus nicht nöthig, in der Art, wie es der reaktive Mensch thut, thun muss, sein Objekt falsch und voreingenommen abzuschätzen. Thatsächlich hat deshalb zu allen Zeiten der aggressive Mensch, als der Stärkere, Muthigere, Vornehmere, auch das freiere Auge, das bessere Gewissen auf seiner Seite gehabt: umgekehrt erräth man schon, wer überhaupt die Erfindung des »schlechten Gewissens« auf dem Gewissen hat, – der Mensch des Ressentiment! Zuletzt sehe man sich doch in der Geschichte um: in welcher Sphäre ist denn bisher überhaupt die ganze Handhabung des Rechts, auch das eigentliche Bedürfniss nach Recht auf Erden heimisch gewesen? Etwa in der Sphäre der reaktiven Menschen? Ganz und gar nicht: vielmehr in der der Aktiven, Starken, Spontanen, Aggressiven. Historisch betrachtet, stellt das Recht auf Erden – zum Verdruss des genannten Agitator’s sei es gesagt (der selber einmal über sich das Bekenntniss ablegt: »die Rachelehre hat sich als der rothe Gerechtigkeitsfaden durch alle meine Arbeiten und Anstrengungen hindurchgezogen«) – den Kampf gerade wider die reaktiven Gefühle vor, den Krieg mit denselben seitens aktiver und aggressiver Mächte, welche ihre Stärke zum Theil dazu verwendeten, der Ausschweifung des reaktiven Pathos Halt und Maass zu gebieten und einen Vergleich zu erzwingen. überall, wo Gerechtigkeit geübt, Gerechtigkeit aufrecht erhalten wird, sieht man eine stärkere Macht in Bezug auf ihr unterstehende Schwächere (seien es Gruppen, seien es Einzelne) nach Mitteln suchen, unter diesen dem unsinnigen Wüthen des Ressentiment ein Ende zu machen, indem sie theils das Objekt des Ressentiment aus den Händen der Rache herauszieht, theils an Stelle der Rache ihrerseits den Kampf gegen die Feinde des Friedens und der Ordnung setzt, theils Ausgleiche erfindet, vorschlägt, unter Umständen aufnöthigt, theils gewisse Äquivalente von Schädigungen zur Norm erhebt, an welche von nun an das Ressentiment ein für alle Mal gewiesen ist. Das Entscheidenste aber, was die oberste Gewalt gegen die Übermacht der Gegen- und Nachgefühle thut und durchsetzt – sie thut es immer, sobald sie irgendwie stark genug dazu ist – ist die Aufrichtung des Gesetzes, die imperativische Erklärung darüber, was überhaupt unter ihren Augen als erlaubt, als recht, was als verboten, als unrecht zu gelten habe: indem sie nach Aufrichtung des Gesetzes Übergriffe und Willkür-Akte Einzelner oder ganzer Gruppen als Frevel am Gesetz, als Auflehnung gegen die oberste Gewalt selbst behandelt, lenkt sie das Gefühl ihrer Untergebenen von dem nächsten durch solche
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Zur Genealogie der Moral
Titel
Zur Genealogie der Moral
Autor
Friedrich Wilhelm Nietzsche
Datum
1887
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.0 cm
Seiten
148
Kategorie
Geisteswissenschaften

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorrede 2
  2. Erste Abhandlung: »Gut und Böse«, »Gut und Schlecht« 10
  3. Zweite Abhandlung: »Schuld«, »schlechtes Gewissen« und Verwandtes 40
  4. Dritte Abhandlung: was bedeuten asketische Ideale? 84
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