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Zur Genealogie der Moral
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14 Diese Liste ist gewiss nicht vollständig; ersichtlich ist die Strafe mit Nützlichkeiten aller Art überladen. Um so eher darf man von ihr eine vermeintliche Nützlichkeit in Abzug bringen, die allerdings im populären Bewusstsein als ihre wesentlichste gilt, – der Glaube an die Strafe, der heute aus mehreren Gründen wackelt, findet gerade an ihr immer noch seine kräftigste Stütze. Die Strafe soll den Werth haben, das Gefühl der Schuld im Schuldigen aufzuwecken, man sucht in ihr das eigentliche instrumentum jener seelischen Reaktion, welche »schlechtes Gewissen«, »Gewissensbiss« genannt wird. Aber damit vergreift man sich selbst für heute noch an der Wirklichkeit und der Psychologie: und wie viel mehr für die längste Geschichte des Menschen, seine Vorgeschichte! Der ächte Gewissensbiss ist gerade unter Verbrechern und Sträflingen etwas äusserst Seltenes, die Gefängnisse, die Zuchthäuser sind nicht die Brutstätten, an denen diese Species von Nagewurm mit Vorliebe gedeiht: – darin kommen alle gewissenhaften Beobachter überein, die in vielen Fällen ein derartiges Urtheil ungern genug und wider die eigensten Wünsche abgeben. In’s Grosse gerechnet, härtet und kältet die Strafe ab; sie concentrirt; sie verschärft das Gefühl der Entfremdung; sie stärkt die Widerstandskraft. Wenn es vorkommt, dass sie die Energie zerbricht und eine erbärmliche Prostration und Selbsterniedrigung zu Wege bringt, so ist ein solches Ergebniss sicherlich noch weniger erquicklich als die durchschnittliche Wirkung der Strafe: als welche sich durch einen trocknen düsteren Ernst charakterisirt. Denken wir aber gar an jene Jahrtausende vor der Geschichte des Menschen, so darf man unbedenklich urtheilen, dass gerade durch die Strafe die Entwicklung des Schuldgefühls am kräftigsten aufgehalten worden ist, – wenigstens in Hinsicht auf die Opfer, an denen sich die strafende Gewalt ausliess. Unterschätzen wir nämlich nicht, inwiefern der Verbrecher gerade durch den Anblick der gerichtlichen und vollziehenden Prozeduren selbst verhindert wird, seine That, die Art seiner Handlung, an sich als verwerflich zu empfinden: denn er sieht genau die gleiche Art von Handlungen im Dienst der Gerechtigkeit verübt und dann gut geheissen, mit gutem Gewissen verübt: also Spionage, Überlistung, Bestechung, Fallenstellen, die ganze kniffliche und durchtriebne Polizisten- und Anklägerkunst, sodann das grundsätzliche, selbst nicht durch den Affekt entschuldigte Berauben, Überwältigen, Beschimpfen, Gefangennehmen, Foltern, Morden, wie es in den verschiednen Arten der Strafe sich ausprägt, – Alles somit von seinen Richtern keineswegs an sich verworfene und verurtheilte Handlungen, sondern nur in einer gewissen Hinsicht und Nutzanwendung. Das »schlechte Gewissen«, diese unheimlichste und interessanteste Pflanze unsrer irdischen Vegetation,
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Zur Genealogie der Moral
Titel
Zur Genealogie der Moral
Autor
Friedrich Wilhelm Nietzsche
Datum
1887
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.0 cm
Seiten
148
Kategorie
Geisteswissenschaften

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorrede 2
  2. Erste Abhandlung: »Gut und Böse«, »Gut und Schlecht« 10
  3. Zweite Abhandlung: »Schuld«, »schlechtes Gewissen« und Verwandtes 40
  4. Dritte Abhandlung: was bedeuten asketische Ideale? 84
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