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Zur Genealogie der Moral
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15 Dies kam einmal auf eine verfängliche Weise Spinoza zum Bewusstsein (zum Verdruss seiner Ausleger, welche sich ordentlich darum bemühen, ihn an dieser Stelle misszuverstehn, zum Beispiel Kuno Fischer), als er eines Nachmittags, wer weiss, an was für einer Erinnerung sich reibend, der Frage nachhieng, was eigentlich für ihn selbst von dem berühmtenmorsus conscientiae übrig geblieben sei – er, der Gut und Böse unter die menschlichen Einbildungen verwiesen und mit Ingrimm die Ehre seines »freien« Gottes gegen jene Lästerer vertheidigt hatte, deren Behauptung dahin gieng, Gott wirke Alles sub ratione boni (»das aber hiesse Gott dem Schicksale unterwerfen und wäre fürwahr die grösste aller Ungereimtheiten« –). Die Welt war für Spinoza wieder in jene Unschuld zurückgetreten, in der sie vor der Erfindung des schlechten Gewissens dalag: was war damit aus dem morsus conscientiae geworden? »Der Gegensatz des gaudium, sagte er sich endlich, – eine Traurigkeit, begleitet von der Vorstellung einer vergangnen Sache, die gegen alles Erwarten ausgefallen ist.« Eth. III propos. XVIII schol. I. II. Nicht anders als Spinoza haben die von der Strafe ereilten Übel-Anstifter Jahrtausende lang in Betreff ihres »Vergehens« empfunden: »hier ist Etwas unvermuthet schief gegangen«, nicht: »das hätte ich nicht thun sollen« –, sie unterwarfen sich der Strafe, wie man sich einer Krankheit oder einem Unglücke oder dem Tode unterwirft, mit jenem beherzten Fatalismus ohne Revolte, durch den zum Beispiel heute noch die Russen in der Handhabung des Lebens gegen uns Westländer im Vortheil sind. Wenn es damals eine Kritik der That gab, so war es die Klugheit, die an der That Kritik übte: ohne Frage müssen wir die eigentliche Wirkung der Strafe vor Allem in einer Verschärfung der Klugheit suchen, in einer Verlängerung des Gedächtnisses, in einem Willen, fürderhin vorsichtiger, misstrauischer, heimlicher zu Werke zu gehn, in der Einsicht, dass man für Vieles ein-für- alle-Mal zu schwach sei, in einer Art Verbesserung der Selbstbeurtheilung. Das, was durch die Strafe im Grossen erreicht werden kann, bei Mensch und Thier, ist die Vermehrung der Furcht, die Verschärfung der Klugheit, die Bemeisterung der Begierden: damit zähmt die Strafe den Menschen, aber sie macht ihn nicht »besser«, – man dürfte mit mehr Recht noch das Gegentheil behaupten. (»Schaden macht klug«, sagt das Volk: soweit er klug macht, macht er auch schlecht. Glücklicher Weise macht er oft genug dumm.)
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Zur Genealogie der Moral
Titel
Zur Genealogie der Moral
Autor
Friedrich Wilhelm Nietzsche
Datum
1887
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.0 cm
Seiten
148
Kategorie
Geisteswissenschaften

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorrede 2
  2. Erste Abhandlung: »Gut und Böse«, »Gut und Schlecht« 10
  3. Zweite Abhandlung: »Schuld«, »schlechtes Gewissen« und Verwandtes 40
  4. Dritte Abhandlung: was bedeuten asketische Ideale? 84
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