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Zur Genealogie der Moral
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17 Zur Voraussetzung dieser Hypothese über den Ursprung des schlechten Gewissens gehört erstens, dass jene Veränderung keine allmähliche, keine freiwillige war und sich nicht als ein organisches Hineinwachsen in neue Bedingungen darstellte, sondern als ein Bruch, ein Sprung, ein Zwang, ein unabweisbares Verhängniss, gegen das es keinen Kampf und nicht einmal ein Ressentiment gab. Zweitens aber, dass die Einfügung einer bisher ungehemmten und ungestalteten Bevölkerung in eine feste Form, wie sie mit einem Gewaltakt ihren Anfang nahm, nur mit lauter Gewaltakten zu Ende geführt wurde, – dass der älteste »Staat« demgemäss als eine furchtbare Tyrannei, als eine zerdrückende und rücksichtslose Maschinerie auftrat und fortarbeitete, bis ein solcher Rohstoff von Volk und Halbthier endlich nicht nur durchgeknetet und gefügig, sondern auch geformt war. Ich gebrauchte das Wort »Staat«: es versteht sich von selbst, wer damit gemeint ist – irgend ein Rudel blonder Raubthiere, eine Eroberer- und Herren-Rasse, welche, kriegerisch organisirt und mit der Kraft, zu organisiren, unbedenklich ihre furchtbaren Tatzen auf eine der Zahl nach vielleicht ungeheuer überlegene, aber noch gestaltlose, noch schweifende Bevölkerung legt. Dergestalt beginnt ja der »Staat« auf Erden: ich denke, jene Schwärmerei ist abgethan, welche ihn mit einem »Vertrage« beginnen liess. Wer befehlen kann, wer von Natur »Herr« ist, wer gewaltthätig in Werk und Gebärde auftritt – was hat der mit Verträgen zu schaffen! Mit solchen Wesen rechnet man nicht, sie kommen wie das Schicksal, ohne Grund, Vernunft, Rücksicht, Vorwand, sie sind da wie der Blitz da ist, zu furchtbar, zu plötzlich, zu überzeugend, zu »anders«, um selbst auch nur gehasst zu werden. Ihr Werk ist ein instinktives Formen- schaffen, Formen-aufdrücken, es sind die unfreiwilligsten, unbewusstesten Künstler, die es giebt: – in Kürze steht etwas Neues da, wo sie erscheinen, ein Herrschafts-Gebilde, das lebt, in dem Theile und Funktionen abgegrenzt und bezüglich gemacht sind, in dem Nichts überhaupt Platz findet, dem nicht erst ein »Sinn« in Hinsicht auf das Ganze eingelegt ist. Sie wissen nicht, was Schuld, was Verantwortlichkeit, was Rücksicht ist, diese geborenen Organisatoren; in ihnen waltet jener furchtbare Künstler-Egoismus, der wie Erz blickt und sich im »Werke«, wie die Mutter in ihrem Kinde, in alle Ewigkeit voraus gerechtfertigt weiss. Sie sind es nicht, bei denen das »schlechte Gewissen« gewachsen ist, das versteht sich von vornherein, – aber es würde nicht ohne sie gewachsen sein, dieses hässliche Gewächs, es würde fehlen, wenn nicht unter dem Druck ihrer Hammerschläge, ihrer Künstler- Gewaltsamkeit ein ungeheures Quantum Freiheit aus der Welt, mindestens aus der Sichtbarkeit geschafft und gleichsam latent gemacht worden wäre. Dieser gewaltsam latent gemachte Instinkt der Freiheit – wir begriffen es
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Zur Genealogie der Moral
Titel
Zur Genealogie der Moral
Autor
Friedrich Wilhelm Nietzsche
Datum
1887
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.0 cm
Seiten
148
Kategorie
Geisteswissenschaften

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorrede 2
  2. Erste Abhandlung: »Gut und Böse«, »Gut und Schlecht« 10
  3. Zweite Abhandlung: »Schuld«, »schlechtes Gewissen« und Verwandtes 40
  4. Dritte Abhandlung: was bedeuten asketische Ideale? 84
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