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Zur Genealogie der Moral
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21 Dies vorläufig im Kurzen und Groben über den Zusammenhang der Begriffe »Schuld«, »Pflicht« mit religiösen Voraussetzungen: ich habe absichtlich die eigentliche Moralisirung dieser Begriffe (die Zurückschiebung derselben in’s Gewissen, noch bestimmter, die Verwicklung des schlechten Gewissens mit dem Gottesbegriffe) bisher bei Seite gelassen und am Schluss des vorigen Abschnittes sogar geredet, wie als ob es diese Moralisirung gar nicht gäbe, folglich, wie als ob es mit jenen Begriffen nunmehr nothwendig zu Ende gienge, nachdem deren Voraussetzung gefallen ist, der Glaube an unsern »Gläubiger«, an Gott. Der Thatbestand weicht davon in einer furchtbaren Weise ab. Mit der Moralisirung der Begriffe Schuld und Pflicht, mit ihrer Zurückschiebung in’s schlechte Gewissen ist ganz eigentlich der Versuch gegeben, die Richtung der eben beschriebenen Entwicklung umzukehren, mindestens ihre Bewegung stillzustellen: jetzt soll gerade die Aussicht auf eine endgültige Ablösung ein-für-alle-Mal sich pessimistisch zuschliessen, jetzt soll der Blick trostlos vor einer ehernen Unmöglichkeit abprallen, zurückprallen, jetzt sollen jene Begriffe »Schuld« und »Pflicht« sich rückwärts wenden – gegen wendenn? Man kann nicht zweifeln: zunächst gegen den »Schuldner«, in dem nunmehr das schlechte Gewissen sich dermaassen festsetzt, einfrisst, ausbreitet und polypenhaft in jede Breite und Tiefe wächst, bis endlich mit der Unlösbarkeit der Schuld auch die Unlösbarkeit der Busse, der Gedanke ihrer Unabzahlbarkeit (der »ewigen Strafe«) concipirt ist –; endlich aber sogar gegen den »Gläubiger«, denke man dabei nun an die causa prima des Menschen, an den Anfang des menschlichen Geschlechts, an seinen Ahnherrn, der nunmehr mit einem Fluche behaftet wird (»Adam«, »Erbsünde«, »Unfreiheit des Willens«) oder an die Natur, aus deren Schooss der Mensch entsteht und in die nunmehr das böse Princip hineingelegt wird (»Verteufelung der Natur«) oder an das Dasein überhaupt, das als unwerth an sich übrig bleibt (nihilistische Abkehr von ihm, Verlangen in’s Nichts oder Verlangen in seinen »Gegensatz«, in ein Anderssein, Buddhismus und Verwandtes) – bis wir mit Einem Male vor dem paradoxen und entsetzlichen Auskunftsmittel stehn, an dem die gemarterte Menschheit eine zeitweilige Erleichterung gefunden hat, jenem Geniestreich des Christenthums: Gott selbst sich für die Schuld des Menschen opfernd, Gott selbst sich an sich selbst bezahlt machend, Gott als der Einzige, der vom Menschen ablösen kann, was für den Menschen selbst unablösbar geworden ist – der Gläubiger sich für seinen Schuldner opfernd, aus Liebe (sollte man’s glauben? –), aus Liebe zu seinem Schuldner!…
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Zur Genealogie der Moral
Titel
Zur Genealogie der Moral
Autor
Friedrich Wilhelm Nietzsche
Datum
1887
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.0 cm
Seiten
148
Kategorie
Geisteswissenschaften

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorrede 2
  2. Erste Abhandlung: »Gut und Böse«, »Gut und Schlecht« 10
  3. Zweite Abhandlung: »Schuld«, »schlechtes Gewissen« und Verwandtes 40
  4. Dritte Abhandlung: was bedeuten asketische Ideale? 84
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