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Zur Genealogie der Moral
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gelegentlich mit harmlosem heitren Gethier und Geflügel, dessen Anblick erholt; ein Gebirge zur Gesellschaft, aber kein todtes, eins mit Augen (das heisst mit Seen); unter Umständen selbst ein Zimmer in einem vollen Allerwelts-Gasthof, wo man sicher ist, verwechselt zu werden, und ungestraft mit Jedermann reden kann, – das ist hier »Wüste«: oh sie ist einsam genug, glaubt es mir! Wenn Heraklit sich in die Freihöfe und Säulengänge des ungeheuren Artemis-Tempels zurückzog, so war diese »Wüste« würdiger, ich gebe es zu: weshalb fehlen uns solche Tempel? (– sie fehlen uns vielleicht nicht: eben gedenke ich meines schönsten Studirzimmers, der Piazza di San Marco, Frühling vorausgesetzt, insgleichen Vormittag, die Zeit zwischen 10 und 12.) Das aber, dem Heraklit auswich, ist das Gleiche noch, dem wir jetzt aus dem Wege gehn: der Lärm und das Demokraten-Geschwätz der Ephesier, ihre Politik, ihre Neuigkeiten vom »Reich« (Persien, man versteht mich), ihr Markt-Kram von »Heute«, – denn wir Philosophen brauchen zu allererst vor Einem Ruhe: vor allem »Heute«. Wir verehren das Stille, das Kalte, das Vornehme, das Ferne, das Vergangne, Jegliches überhaupt, bei dessen Aspekt die Seele sich nicht zu vertheidigen und zuzuschnüren hat, – Etwas, mit dem man reden kann, ohne laut zu reden. Man höre doch nur auf den Klang, den ein Geist hat, wenn er redet: jeder Geist hat seinen Klang, liebt seinen Klang. Das dort zum Beispiel muss wohl ein Agitator sein, will sagen ein Hohlkopf, Hohltopf: was auch nur in ihn hineingeht, jeglich Ding kommt dumpf und dick aus ihm zurück, beschwert mit dem Echo der grossen Leere. Jener dort spricht selten anders als heiser: hat er sich vielleicht heisergedacht? Das wäre möglich – man frage die Physiologen –, aber wer in Worten denkt, denkt als Redner und nicht als Denker (es verräth, dass er im Grunde nicht Sachen, nicht sachlich denkt, sondern nur in Hinsicht auf Sachen, dass er eigentlich sich und seine Zuhörer denkt). Dieser Dritte da redet aufdringlich, er tritt zu nahe uns an den Leib, sein Athem haucht uns an, – unwillkürlich schliessen wir den Mund, obwohl es ein Buch ist, durch das er zu uns spricht: der Klang seines Stils sagt den Grund davon, – dass er keine Zeit hat, dass er schlecht an sich selber glaubt, dass er heute oder niemals mehr zu Worte kommt. Ein Geist aber, der seiner selbst gewiss ist, redet leise; er sucht die Verborgenheit, er lässt auf sich warten. Man erkennt einen Philosophen daran, dass er drei glänzenden und lauten Dingen aus dem Wege geht, dem Ruhme, den Fürsten und den Frauen: womit nicht gesagt ist, dass sie nicht zu ihm kämen. Er scheut allzuhelles Licht: deshalb scheut er seine Zeit und deren »Tag«. Darin ist er wie ein Schatten: je mehr ihm die Sonne sinkt, um so grösser wird er. Was seine »Demuth« angeht, so verträgt er, wie er das Dunkel verträgt, auch eine gewisse Abhängigkeit und Verdunkelung: mehr noch, er fürchtet sich vor der Störung durch Blitze, er schreckt vor der Ungeschütztheit eines allzu isolirten und preisgegebenen Baums zurück, an dem jedes schlechte Wetter seine
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Zur Genealogie der Moral
Titel
Zur Genealogie der Moral
Autor
Friedrich Wilhelm Nietzsche
Datum
1887
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.0 cm
Seiten
148
Kategorie
Geisteswissenschaften

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorrede 2
  2. Erste Abhandlung: »Gut und Böse«, »Gut und Schlecht« 10
  3. Zweite Abhandlung: »Schuld«, »schlechtes Gewissen« und Verwandtes 40
  4. Dritte Abhandlung: was bedeuten asketische Ideale? 84
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