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Zur Genealogie der Moral
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15 Hat man in aller Tiefe begriffen – und ich verlange, dass man hier gerade tief greift, tief begreift – inwiefern es schlechterdings nicht die Aufgabe der Gesunden sein kann, Kranke zu warten, Kranke gesund zu machen, so ist damit auch eine Nothwendigkeit mehr begriffen, – die Nothwendigkeit von Ärzten und Krankenwärtern, die selber krank sind: und nunmehr haben und halten wir den Sinn des asketischen Priesters mit beiden Händen. Der asketische Priester muss uns als der vorherbestimmte Heiland, Hirt und Anwalt der kranken Heerde gelten: damit erst verstehen wir seine ungeheure historische Mission. Die Herrschaft über Leidende ist sein Reich, auf sie weist ihn sein Instinkt an, in ihr hat er seine eigenste Kunst, seine Meisterschaft, seine Art von Glück. Er muss selber krank sein, er muss den Kranken und Schlechtweggekommenen von Grund aus verwandt sein, um sie zu verstehen, – um sich mit ihnen zu verstehen; aber er muss auch stark sein, mehr Herr noch über sich als über Andere, unversehrt namentlich in seinem Willen zur Macht, damit er das Vertrauen und die Furcht der Kranken hat, damit er ihnen Halt, Widerstand, Stütze, Zwang, Zuchtmeister, Tyrann, Gott sein kann. Er hat sie zu vertheidigen, seine Heerde – gegen wen? Gegen die Gesunden, es ist kein Zweifel, auch gegen den Neid auf die Gesunden; er muss der natürliche Widersacher und Verächter aller rohen, stürmischen, zügellosen, harten, gewaltthätig-raubthierhaften Gesundheit und Mächtigkeit sein. Der Priester ist die erste Form des delikateren Thiers, das leichter noch verachtet als hasst. Es wird ihm nicht erspart bleiben, Krieg zu führen mit den Raubthieren, einen Krieg der List (des »Geistes«) mehr als der Gewalt, wie sich von selbst versteht, – er wird es dazu unter Umständen nöthig haben, beinahe einen neuen Raubthier-Typus an sich herauszubilden, mindestens zu bedeuten, – eine neue Thier-Furchtbarkeit, in welcher der Eisbär, die geschmeidige kalte abwartende Tigerkatze und nicht am wenigsten der Fuchs zu einer ebenso anziehenden als furchteinflössenden Einheit gebunden scheinen. Gesetzt, dass die Noth ihn zwingt, so tritt er dann wohl bärenhafternst, ehrwürdig, klug, kalt, trügerisch-überlegen, als Herold und Mundstück geheimnissvollerer Gewalten, mitten unter die andere Art Raubthiere selbst, entschlossen, auf diesem Boden Leid, Zwiespalt, Selbstwiderspruch, wo er kann, auszusäen und, seiner Kunst nur zu gewiss, über Leidende jederzeit Herr zu werden. Er bringt Salben und Balsam mit, es ist kein Zweifel; aber erst hat er nöthig, zu verwunden, um Arzt zu sein; indem er dann den Schmerz stillt, den die Wunde macht, vergiftet er zugleich die Wunde – darauf vor Allem nämlich versteht er sich, dieser Zauberer und Raubthier-Bändiger, in dessen Umkreis alles Gesunde nothwendig krank und alles Kranke nothwendig zahm wird. Er vertheidigt in der That gut genug
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Zur Genealogie der Moral
Titel
Zur Genealogie der Moral
Autor
Friedrich Wilhelm Nietzsche
Datum
1887
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.0 cm
Seiten
148
Kategorie
Geisteswissenschaften

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorrede 2
  2. Erste Abhandlung: »Gut und Böse«, »Gut und Schlecht« 10
  3. Zweite Abhandlung: »Schuld«, »schlechtes Gewissen« und Verwandtes 40
  4. Dritte Abhandlung: was bedeuten asketische Ideale? 84
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