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Zur Genealogie der Moral
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19 Die Mittel des asketischen Priesters, welche wir bisher kennen lernten – die Gesammt-Dämpfung des Lebengefühls, die machinale Thätigkeit, die kleine Freude, vor Allem die der »Nächstenliebe«, die Heerden-Organisation, die Erweckung des Gemeinde-Machtgefühls, demzufolge der Verdruss des Einzelnen an sich durch seine Lust am Gedeihen der Gemeinde übertäubt wird – das sind, nach modernem Maasse gemessen, seine unschuldigen Mittel im Kampfe mit der Unlust: wenden wir uns jetzt zu den interessanteren, den »schuldigen«. Bei ihnen allen handelt es sich um Eins: um irgend eineAusschweifung des Gefühls, – diese gegen die dumpfe lähmende lange Schmerzhaftigkeit als wirksamstes Mittel der Betäubung benutzt; weshalb die priesterliche Erfindsamkeit im Ausdenken dieser Einen Frage geradezu unerschöpflich gewesen ist: »wodurch erzielt man eine Ausschweifung des Gefühls?«… Das klingt hart: es liegt auf der Hand, dass es lieblicher klänge und besser vielleicht zu Ohren gienge, wenn ich etwa sagte »der asketische Priester hat sich jederzeit dieBegeisterung zu Nutze gemacht, die in allen starken Affekten liegt«. Aber wozu die verweichlichten Ohren unsrer modernen Zärtlinge noch streicheln? Wozu unsrerseits ihrer Tartüfferie der Worte auch nur einen Schritt breit nachgeben? Für uns Psychologen läge darin bereits eine Tartüfferie der That; abgesehen davon, dass es uns Ekel machen würde. Ein Psychologe nämlich hat heute darin, wenn irgend worin, seinen guten Geschmack (– Andre mögen sagen: seine Rechtschaffenheit), dass er der schändlich vermoralisirten Sprechweise widerstrebt, mit der nachgerade alles moderne Urtheilen über Mensch und Ding angeschleimt ist. Denn man täusche sich hierüber nicht: was das eigentlichste Merkmal moderner Seelen, moderner Bücher ausmacht, das ist nicht die Lüge, sondern die eingefleischte Unschuld in der moralistischen Verlogenheit. Diese »Unschuld« überall wieder entdecken müssen – das macht vielleicht unser widerlichstes Stück Arbeit aus, an all der an sich nicht unbedenklichen Arbeit, deren sich heute ein Psychologe zu unterziehn hat; es ist ein Stück unsrer grossen Gefahr, – es ist ein Weg, der vielleicht gerade uns zum grossen Ekel führt… Ich zweifle nicht daran,wozu allein moderne Bücher (gesetzt, dass sie Dauer haben, was freilich nicht zu fürchten ist, und ebenfalls gesetzt, dass es einmal eine Nachwelt mit strengerem härteren gesünderen Geschmack giebt) – wozu alles Moderne überhaupt dieser Nachwelt dienen würde, dienen könnte: zu Brechmitteln, – und das vermöge seiner moralischen Versüsslichung und Falschheit, seines innerlichsten Feminismus, der sich gern »Idealismus« nennt und jedenfalls Idealismus glaubt. Unsre Gebildeten von Heute, unsre »Guten« lügen nicht – das ist wahr; aber es gereicht ihnen nicht zur Ehre! Die eigentliche Lüge, die
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Zur Genealogie der Moral
Titel
Zur Genealogie der Moral
Autor
Friedrich Wilhelm Nietzsche
Datum
1887
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.0 cm
Seiten
148
Kategorie
Geisteswissenschaften

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorrede 2
  2. Erste Abhandlung: »Gut und Böse«, »Gut und Schlecht« 10
  3. Zweite Abhandlung: »Schuld«, »schlechtes Gewissen« und Verwandtes 40
  4. Dritte Abhandlung: was bedeuten asketische Ideale? 84
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