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Zur Genealogie der Moral
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war Freiheit des Geistes, damit war der Wahrheit selbst der Glaube gekündigt… Hat wohl je schon ein europäischer, ein christlicher Freigeist sich in diesen Satz und seine labyrinthischen Folgerungen verirrt? kennt er den Minotauros dieser Höhle aus Erfahrung?… Ich zweifle daran, mehr noch, ich weiss es anders: – Nichts ist diesen Unbedingten in Einem, diesen sogenannten »freien Geistern« gerade fremder als Freiheit und Entfesselung in jenem Sinne, in keiner Hinsicht sind sie gerade fester gebunden, im Glauben gerade an die Wahrheit sind sie, wie Niemand anders sonst, fest und unbedingt. Ich kenne dies Alles vielleicht zu sehr aus der Nähe: jene verehrenswürdige Philosophen-Enthaltsamkeit, zu der ein solcher Glaube verpflichtet, jener Stoicismus des Intellekts, der sich das Nein zuletzt eben so streng verbietet wie das Ja, jenes Stehenbleiben-Wollen vor dem Thatsächlichen, dem factum brutum, jener Fatalismus der »petits faits« (ce petit faitalisme, wie ich ihn nenne), worin die französische Wissenschaft jetzt eine Art moralischen Vorrangs vor der deutschen sucht, jenes Verzichtleisten auf Interpretation überhaupt (auf das Vergewaltigen, Zurechtschieben, Abkürzen, Weglassen, Ausstopfen, Ausdichten, Umfälschen und was sonst zum Wesen alles Interpretirens gehört) – das drückt, in’s Grosse gerechnet, ebensogut Ascetismus der Tugend aus, wie irgend eine Verneinung der Sinnlichkeit (es ist im Grunde nur ein modus dieser Verneinung). Was aber zu ihm zwingt, jener unbedingte Wille zur Wahrheit, das ist der Glaube an das asketische Ideal selbst, wenn auch als sein unbewusster Imperativ, man täusche sich hierüber nicht, – das ist der Glaube an einenmetaphysischen Werth, einen Werth an sich der Wahrheit, wie er allein in jenem Ideal verbürgt und verbrieft ist (er steht und fällt mit jenem Ideal). Es giebt, streng geurtheilt, gar keine »voraussetzungslose« Wissenschaft, der Gedanke einer solchen ist unausdenkbar, paralogisch: eine Philosophie, ein »Glaube« muss immer erst da sein, damit aus ihm die Wissenschaft eine Richtung, einen Sinn, eine Grenze, eine Methode, ein Recht auf Dasein gewinnt. (Wer es umgekehrt versteht, wer zum Beispiel sich anschickt, die Philosophie »auf streng wissenschaftliche Grundlage« zu stellen, der hat dazu erst nöthig, nicht nur die Philosophie, sondern auch die Wahrheit selber auf den Kopf zu stellen: die ärgste Anstands-Verletzung, die es in Hinsicht auf zwei so ehrwürdige Frauenzimmer geben kann!) Ja, es ist kein Zweifel – und hiermit lasse ich meine »fröhliche Wissenschaft« zu Worte kommen, vergl. deren fünftes Buch S. 263 – »der Wahrhaftige, in jenem verwegenen und letzten Sinne, wie ihn der Glaube an die Wissenschaft voraussetzt, bejaht damit eine andre Welt als die des Lebens, der Natur und der Geschichte; und insofern er diese »andre Welt« bejaht, wie? muss er nicht eben damit ihr Gegenstück, diese Welt,unsre Welt – verneinen?… Es ist immer noch ein metaphysischer Glaube, auf dem unser Glaube an die Wissenschaft ruht, – auch wir Erkennenden von Heute, wir Gottlosen und Antimetaphysiker, auch
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Zur Genealogie der Moral
Titel
Zur Genealogie der Moral
Autor
Friedrich Wilhelm Nietzsche
Datum
1887
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.0 cm
Seiten
148
Kategorie
Geisteswissenschaften

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorrede 2
  2. Erste Abhandlung: »Gut und Böse«, »Gut und Schlecht« 10
  3. Zweite Abhandlung: »Schuld«, »schlechtes Gewissen« und Verwandtes 40
  4. Dritte Abhandlung: was bedeuten asketische Ideale? 84
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