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Zur Genealogie der Moral
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Volkes an, in denen der Gelehrte in den Vordergrund tritt: es sind Zeiten der Ermüdung, oft des Abends, des Niederganges, – die überströmende Kraft, die Lebens-Gewissheit, die Zukunfts-Gewissheit sind dahin. Das Übergewicht des Mandarinen bedeutet niemals etwas Gutes: so wenig als die Heraufkunft der Demokratie, der Friedens-Schiedsgerichte an Stelle der Kriege, der Frauen- Gleichberechtigung, der Religion des Mitleids und was es sonst Alles für Symptome des absinkenden Lebens giebt. (Wissenschaft als Problem gefasst; was bedeutet Wissenschaft? – vergl. darüber die Vorrede zur »Geburt der Tragödie«.) – Nein! diese »moderne Wissenschaft« – macht euch nur dafür die Augen auf! – ist einstweilen die beste Bundesgenossin des asketischen Ideals, und gerade deshalb, weil sie die unbewussteste, die unfreiwilligste, die heimlichste und unterirdischste ist! Sie haben bis jetzt Ein Spiel gespielt, die »Armen des Geistes« und die wissenschaftlichen Widersacher jenes Ideals (man hüte sich, anbei gesagt, zu denken, dass sie deren Gegensatz seien, etwa als die Reichen des Geistes: – das sind sie nicht, ich nannte sie Hektiker des Geistes). Diese berühmten Siegeder letzteren: unzweifelhaft, es sind Siege – aber worüber? Das asketische Ideal wurde ganz und gar nicht in ihnen besiegt, es wurde eher damit stärker, nämlich unfasslicher, geistiger, verfänglicher gemacht, dass immer wieder eine Mauer, ein Aussenwerk, das sich an dasselbe angebaut hatte und seinen Aspekt vergröberte, seitens der Wissenschaft schonungslos abgelöst, abgebrochen worden ist. Meint man in der That, dass etwa die Niederlage der theologischen Astronomie eine Niederlage jenes Ideals bedeute?… Ist damit vielleicht der Mensch weniger bedürftig nach einer Jenseitigkeits-Lösung seines Räthsels von Dasein geworden, dass dieses Dasein sich seitdem noch beliebiger, eckensteherischer, entbehrlicher in der sichtbaren Ordnung der Dinge ausnimmt? Ist nicht gerade die Selbstverkleinerung des Menschen, sein Wille zur Selbstverkleinerung seit Kopernikus in einem unaufhaltsamen Fortschritte? Ach, der Glaube an seine Würde, Einzigkeit, Unersetzlichkeit in der Rangabfolge der Wesen ist dahin, – er ist Thier geworden, Thier, ohne Gleichniss, Abzug und Vorbehalt, er, der in seinem früheren Glauben beinahe Gott (»Kind Gottes«, »Gottmensch«) war… Seit Kopernikus scheint der Mensch auf eine schiefe Ebene gerathen, – er rollt immer schneller nunmehr aus dem Mittelpunkte weg – wohin? in’s Nichts? in’s »durchbohrende Gefühl seines Nichts«?… Wohlan! dies eben wäre der gerade Weg – in’s alte Ideal?… AlleWissenschaft (und keineswegs nur die Astronomie, über deren demüthigende und herunterbringende Wirkung Kant ein bemerkenswerthes Geständniss gemacht hat, »sie vernichtet meine Wichtigkeit«… ), alle Wissenschaft, die natürliche sowohl, wie die unnatürliche – so heisse ich die Erkenntniss-Selbstkritik – ist heute darauf aus, dem Menschen seine bisherige Achtung vor sich auszureden, wie als ob dieselbe Nichts als ein bizarrer Eigendünkel gewesen sei; man könnte sogar sagen, sie habe ihren eigenen Stolz, ihre eigene herbe Form von
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Zur Genealogie der Moral
Titel
Zur Genealogie der Moral
Autor
Friedrich Wilhelm Nietzsche
Datum
1887
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.0 cm
Seiten
148
Kategorie
Geisteswissenschaften

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorrede 2
  2. Erste Abhandlung: »Gut und Böse«, »Gut und Schlecht« 10
  3. Zweite Abhandlung: »Schuld«, »schlechtes Gewissen« und Verwandtes 40
  4. Dritte Abhandlung: was bedeuten asketische Ideale? 84
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