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Z. Die Ausbildung der Verfassung. 51
Den Ausgangspunkt bildet das kaiserliche Patent vom 15. März 1848, das die
freiheitlichen Zugeständnisse der vorhergehenden Tage zusammenfaßte und eine
„Konstitution desVaterlandes" in Aussicht stellte. Ein verantwortlichesMinisterium
wurde eingesetzt. ]\Iitdem Patentevom 25. April 1848 wurde für Österreich (unter
Ausschluß Ungarns und der italienischen Provinzen) eine überwiegend zentralistisch
gehalteneVerfassung erlassen (die,,Aprilverfassun g", nach ilu-em Verfasser,
dem Minister des Innern, Freiherrn von Pillersdorf^) auch Pillers-
dorf'sehe Verfassung genannt) 2). Im Anschlüsse an die belgische Verfassung von
1830 nalun sie eine zweikammerige Volksvertretung in Aussicht: einen aus Senat
und Abgeordnetenhaus bestehenden Reichsrat. Die Landtage blieben auf die Für-
sorge für Provinzialinteressen beschränkt^). Diese Verfassung ist nicht in Kraft
getreten. Die radikale Strömung wendete sich gegen den als Oberhaus gedachten
Senat und verlangte die Einberufung einer konstituierenden Versammlung. Eine
solche wurde durch die kaiserliche Proklamation vom 6. Mai 1848 zugesagt. Auf
Grund allgemeiner Wahlen trat am 22. Juni 1848 der nur aus einer Kammer be-
stehende ,,Konstituierende Reichstag" in Wien zusammen^). Im Herbst 1848 wurde
er wegen fortdauernder Umuhen nach Kremsie r, einem mährischen Land-
städtchen, verlegt (daher die Benennung Kremsierer Reichstag).
Der von dem Verfassungsausschusse dieses Reichstages ausgearbeitete Ver-
fassungsentwurf^) ist der erste Versuch eines Ausgleiches zwischen dem
zentralistischen und dem föderalistischen Prinzipe. Er scheidet die „Reichs-
zentralgewalt" von den „Landesregierungsgewalten" der einzelnen Länder. Es sind
das die gleichen Länder, die gegenwärtig im österreichischen Reichsrate vertreten
sind, also nicht auch die Länder der ungarischen Ki'one. Die größeren Länder
sollen mit möglichster Rücksicht auf die Nationaütät der Bewohner in Kreise
eingeteiltwerden. AlsOrgane derGesetzgebungstehendem Kaiserder Reichstag und
die Landtage zur Seite; auch Kreistage waren vorgesehen. DerReichstag zerfällt in
diedurchZensuswahlenzubildendeVolkskammerundineineLänderkammer,welcher
AbgeordnetederLänderund Kreise angehören, dievondenLand-und Kreistagen ge-
w'ähltwerden.DieGesetzgebungskompetenz istzmschendemReichundden Länder:!
unter starker Betonung autonomistischer Gesichtspunkte aufgeteilt. Die Leitung
1) Der handschriftliche Nachlaß des Freiherrn von Pillersdorf ist Wien 1863
veröffentlicht worden. — ^) Für Böhmen hatte die national-föderalistische Bewegung das
Kabinettschreiben vom 8. April 1848 erlangt, worin unter anderem die Gleichberechtigung
beider Nationalitäten, die Umwandlung der Ständeversammlung in eine repräsentative Körper-
schaft und die Errichtungverantwortlicher Zentralstellen in Aussicht gestellt wurde. Abgesehen
von den Formgebrechen, welche dieses Kabinettschreiben unwirksam erscheinen lassen, ist es
durch den Gang der Ereignisse bald überholt worden. — ^) Der Wortlaut dieser Ver-
fassung, sowie der wichtigsten übrigen Materialien zur österreichischen Verfassungsgeschichte
findet sich in der von E. Bernatzik herausgegebenen Studienausgabe der öster-
reichischen Verfassimgsgesetze. 2. Auflage,Wien 1911. Vergl. S. 103 ff. — *) Die Verhandlungen
des österreichischen Parlaments und der Landtage seit dem Beginne des Verfassungs-
lebens, sowie die damit zusammenhängenden politischen Ereignisse finden sich zusammengestellt
in Gustav K o 1m e r's Werk „Parlament und Verfassung", 6 Bände, Wien 1902—1910.
Aufzählung der Ministerien bei J o s e f D u 1 1 in g e r. Die Ministerien des Kaisertums Öster-
reich usw. von 1848 bis zur Gegenwart. Wien 1901.— *)B e r n a t z i k. ÖsterreichischeVerfassungs-
gesetze, 2. Aufl. S. 115ff ; vergl. dazuAntonSpringer, Protokolle desVerfassungsausschusses
im österreichischen Reichstage 1848/49. Leipzig 1885.
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Buch Österreichische Bürgerkunde"
Österreichische Bürgerkunde
- Titel
- Österreichische Bürgerkunde
- Autor
- Heinrich Rauchberg
- Verlag
- Verlag von F. Tempsky
- Ort
- Wien
- Datum
- 1911
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.4 x 24.0 cm
- Seiten
- 278
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918