Seite - 71 - in Österreichische Bürgerkunde
Bild der Seite - 71 -
Text der Seite - 71 -
XIII. Der ungarische Staat. 71
pflege. Eine besonderekroatisch-slawonische Staatsbürgerschaftbestehtnicht. Nach
dem ungarischen Gesetze von 1879 umfaßt die ungarische Staatsbürgerschaft sämt-
licheLänder der ungarischenKrone. IndengemeinsamenungarischenReichstag ent-
sendet der kroatische Landtag 40 Abgeordnete und 3 Magnaten; überdies haben die
kroatischen Magnaten Sitz und Stunme im Oberhause des ungarischen Reichstages
behalten. In die ungarische Delegation^) werden fünf Mitglieder aus Kroatien
gewählt.
Die Gesetzgebung hinsichtlich jener Angelegenheiten, die unmittelbar und aus-
schließlich Kroatien-Slawonien berühren, steht dem kroatischen Landtage zu. Er
besteht—in einer Kammer— aus 90 gewählten Mitghedern und einerAnzahl von
Personen,denendasStimmrechtpersönUchzusteht.DieautonomekroatischeLandes-
regierung ist die oberste Verwaltungsbehörde. An ihrer Spitze steht der sowohldem
ungarischen Könige als auch dem kroatischen Landtage verantwortliche Banus.
Als Bindeglied zwischen der Zentralregierung und Kroatien dient der Minister für
Kroatien, ein ungarischer Minister ohne Portefeuille. Er istdem ungarischen Reichs-
tage verantwortlich und kontrasigniert gemeinsam mit dem Banus alle kroatischen
Landesgesetze und Verordnungen. Der Beitrag Kroatiens zu den (beiden Reichs-
hälften, ferner Ungarn und Kroatien) gemeinsamen Angelegenheiten wird unter
Berücksichtigung der Steuerfähigkeit zwischen dem ungarischen Reichstag und
dem kroatischen Landtag von Zeit zu Zeit vereinbart und gesetzlich festgelegt.
Zu Kroatien gehören jedoch nicht Stadt, Hafen und Bezirk von Fiume;
sie bilden einen besonderen, der ungarischen Krone angegliederten Körper. Die
Militärgrenze ist aufgelöst und teils zu Ungarn, teils zu Kroatien geschlagen worden.
In der theoretischen Beurteilung des staatsrechthchen Verhältnisses zwischen
Ungarn und Kroatien stehen sich die Auffassungen beider Teile schroff gegenüber.
Ungarischerseits wii'd Ungarn als Einheitsstaat und Kroatien lediglich als eine mit
weitgehenderAutonomie ausgestatteteProvinz hingestellt. Kroatien behauptetdem
gegenüber seinen staatlichen Bestand und die Gleichstellung mit Ungarn. Es kann
sich dabei darauf berufen, daß das Ausgleichsgesetz selbst nichtnur die Selbständig-
keit seiner Gesetzgebung und Regierung hinsichtlich der inneren Angelegenheiten,
sondern seine Vertreter im Reichstage „als die Abgeordneten einer ein besonderes
Territorium besitzenden politischen Nation" anerkennt, wenngleich freihch nicht
von einer besonderen kroatischen, sondern nur von einer einheitlichen ungarischen
Staatsbürgerschaft die Rede sein kann. Die Beschränkung seiner Staatsgewalt zu-
gunstendes ungarischen Staates beruhtauf einerVereinbarung mitdemungarischen
Staate, welche die Autonomie Kroatiens gleichsam als einen Überrest früher
weitergehender Staatsgewalt unberührt läßt.
So nehmen denn infolge der Sonderstellung Kroatiens die Länder der un-
garischen Krone den bundesstaatlichen Typus an. So groß auch das Übergewicht
ist, das sich Ungarn im kroatischen Ausgleich gesichert hat, so werden doch die
Argumente für den staatlichen Sonderbestand Kroatiens in der praktischen PoHtik
durch den nationalen Gegensatz zu Ungarn verstärkt ; daß Kroatien staatsrechthch
völlig in Ungarn aufgehe, wie das etwa mit Siebenbürgen der Fall war, ist eine
politische Unmöghchkeit. Ebenso wie andem Beispiele Österreichs und der Gesamt-
monarchie sehen wir- auch hier, daß die theoretische Schablone versagt. Aus den
1) Vergl. oben S. 63.
zurück zum
Buch Österreichische Bürgerkunde"
Österreichische Bürgerkunde
- Titel
- Österreichische Bürgerkunde
- Autor
- Heinrich Rauchberg
- Verlag
- Verlag von F. Tempsky
- Ort
- Wien
- Datum
- 1911
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.4 x 24.0 cm
- Seiten
- 278
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918