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02 XVIIL Der österreichische Reichsrat.
Sinne)sondern auch die in denFormen der Gresetzgebung ausgedrückte Zustimmung
zu wichtigen Verwaltungsakten, \vie z. B. zur Aufstelhmg des StaatsVoranschlages,
zur Aufnahme von Darlehen, Veräußerung von Staatsvermögen, Feststellung des
Rekrutenkontingentes. In derForm einerGenehmigung wird die Zustimmung
des Parlamentes ausgesprochen zu den oben unter 1 angeführten Staatsverträgen
und zu den Notverordnungen nach § 14 unseres Gesetzes^), Erfolgt die Genehmigung
nicht, so gelten die Verträge als gelöst, die Verordnungen als aufgehoben; sie sind
bis zum Beschlüsse des Parlamentes resolutiv bedingt^).
Hievon abgesehen, wü'd in derVerfassung nicht die Grenze zwischen der Gesetz-
gebung und Verordnungsgewalt, sondern zwischen dem Wü-kungskreise des Reichs-
rates und dem Wirkungskreise der Landtage, mithin z\\ischen dem zentralistischen
und dem föderalistischen Prinzip gezogen. Die dem Reichsrate nicht ausdrücklich
vorbehaltenen Angelegenheiten sind den Landtagen überlassen. Aber die Grenze
ist nicht scharf genug gezogen, der Widerstreit der politischen Prinzipien nicht
so weit durch das Recht geschlichtet, als daß er nicht bei der Behandlung gewisser
gesetzgeberischer Aufgaben immer aufs neue ausbräche. Auch greifen Reichs- und
Landesgesetzgebung mehrfach ineinander über: die nähere Regelung solcher An-
gelegenheiten, für welche der Reichsrat lediglich die Grundsätze feststellt, fällt den
Landtagen zu ; andererseits können die Landtage ihnen zustehende Angelegenheiten
der Reichsgesetzgebung überweisen.
DiedemParlamente zustehendeVerwaltungskontrolle erstreckt sich
sowohl auf die Gesetzmäßigkeit als auch auf die Zweckmäßigkeit der Verwaltung.
In beiden Hinsichten sind politische Rücksichten mit im Spiele. Um die Kontrolle
auszuüben, kann jedes der beiden Häuser des Reichsrates die Anwesenheit der
Minister verlangen, die Minister interpellieren, die Verwaltungsakte der Regierung
einer Prüfung unterziehen, über eingehende Petitionen Auskunft verlangen, Unter-
suchungskommissionen ernennen und seinen Ansichten in Form von Adi'essen
(an die Krone) oderResolutionen (an die Regierung)Ausdruck geben. Die wichtigste
Handhabe für die Kontrolle bietet das Budgetrech t^). Die Gebarung mit der
Staatsschuld*) wird durch eine aus je 5 Mitgliedern des Abgeordneten-
hauses und des Herrenhauses bestehende Staatsschulden-Kontrollkommission
überwacht. Diese Kommission ist permanent, indem sie ihre Wirksamkeit auch bei
Vertagung des Reichsrates oder Auflösung des Abgeordnetenhauses fortsetzt, bis
sie erneut worden ist. Sie ist in Ausübung ihrer Obliegenheiten immun, berichtet
alljährlich an den Reichsrat über den Stand der Staatsschuld und veröffentlicht
halbjährig Berichte über den Stand derselben. Denn volle Klarheit über den Stand
und die Verwaltung der Staatsschuld sind wesentliche Voraussetzungen des Staats-
kredites.
Politisch wirksam werden die Kontrollbefugnisse des Parlamentes dadurch,
daß Minister, die dauernd das Vertrauen des Parlamentes verloren haben, die
Geschäfte nicht fortführen können und abtreten müssen; juristisch können
sie, wenn die Voraussetzungen hiefür gegeben sind, zur Ministeranklage führen.
^) Vergl. S. 142. — *) Vergl. Jos. Lukas, Die rechtliche Stellung des Parlaments in
der Gesetzgebung Österreichs usw. Graz 1901. — ^) Das Budgetrecht wird in Verbindung mit
der Finanzverwaltung im XLVIII. Kapitel besprochen. — *) Vergl. das LI. Kapitel.
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Buch Österreichische Bürgerkunde"
Österreichische Bürgerkunde
- Titel
- Österreichische Bürgerkunde
- Autor
- Heinrich Rauchberg
- Verlag
- Verlag von F. Tempsky
- Ort
- Wien
- Datum
- 1911
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.4 x 24.0 cm
- Seiten
- 278
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918