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124 XXIV. Die allgemeinen Rechte der Staatsbürger usw.
Österreichs.1) Die damit gewährten Rechte werden wegen ihres verfassungsmäßigen
Charakters auch als „Grundrechte", nach ihrer politischen Absicht als „Freüieits-
rechte" bezeichnet.
In welcher Richtung die Freiheitssphäre der Staatsbürger vor Eingriffen
zu schützen sei, das hing— neben Erwägungen allgemeiner Natur und den histo-
rischen Vorbildern — davon ab, welche Ungleichheiten in der Rechtsstellung
und welche Maßnahmen polizeilicher Willkür am drückendsten empfunden
worden waren; eben diesen sollte fortab durch das StaatFgrundgesetz ein Riegel
vorgeschoben werden. Teils durch unmittelbar anwendbare Rechtssätze, teüs
dadurch, daß ein Programm für die spätere Gesetzgebung aufgestellt und diese
vermöge der höheren formellen Kraft des Grundgesetzes an jenes Programm
gebunden wurde.
Das österreichische Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staats-
bürger stellt zunächst objektive Rechtssätze über die Stellung der Staats-
gewalt zu den Staatsbürgern auf. Allein die dai'aus erwachsenden Ansprüche an
den Staat auf Unterlassung von Eingriffen erhalten dadurch den Charakter von
subjektiven öffentlichen Rechten, daß den Staatsbürgern durch die Beschwerde
an das Reichsgericht ein — wenn auch unzulängliches — Mittel gegeben ist,
um jene Sätze geltend zu machen. Solche Rechtsschranken bestehen jedoch nicht
nur in den Angelegenheiten, die in der Verfassung ausdrücklich aufgezählt sind.
Denn die Vollzugsgewalt ist grundsätzlich an das Gesetz gebunden und die Recht-
mäßigkeit jener Entscheidungen der Verwaltungsbehörden, die nicht vor das
Reichsgericht gehören, kann vor dem Verwaltungsgerichtshofe angefochten
werden.2)
Die durch das Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staats-
bürger anerkannten Grundrechte zerfallen in zwei große Gruppen; durch die eine
v/ird der Grundsatz der Rechtsgleichheit aufgestellt, durch die andere die
staatsbürgerliche Freiheit gewährleistet.
Bevor wir in den nächstfolgenden Kapiteln die einzelnen Freiheitsrechte
besprechen, ist der Grundsatz der Rechtsgleichheit kurz zu erörtern.
Dieser Grundsatz wird von der österreichischen Verfassung in dreifacher Hin-
sicht anerkannt: für die Individuen, für die Konfessionen und für die Natio-
nalitäten. Die rechtliche Gleichstellung der Konfessionen und Nationalitäten
ist eigentlich nur eine Folge der Freiheit, die ihnen die Verfassung gewährt, und
wird mitdieser später zu erörtern sein.^) Hier handelt es sichum die Rechtsgleich-
heit der Individuen.
Das Wort Rechtsgleichheit ist hier nicht im materiellen, sondern im formellen
Sinne zu nehmen. Ebensowenig wie die Menschen können ihre Rechte gleich sein.
Aber gleich gestellt vor dem Gesetze sind alle Staatsbürger. Das heißt,
daß die Rechtsnormen auf alle Staatsbürger in gleicher Weise angewendet werden
^) England und Ungarn, deren Verfassung sich aus der ständischen Ordnung heraus-
gebildet hat, kennen keine förmliche Aufzählung der Freiheitsrechte. Die Rechtsfrtellung der
Staatsbürger schien hier durch die verfassungsmäßige Ordnung des Staatswesens hinläng-
lich gesichert. Hingegen gewährleistet das Landesstatut für Bosnien und die Herzegowina
den Landesangehörigen eine Reihe von ,,allgemeinen bürgerlichen Rechten", die den all-
gemeinen Rechten der österreichischen Staatsbürger nachgebildet sind. — *) Vergl. das
XXXVL Kapitel.— «) Vergl. unten S. 128 ff. und 133 ff.
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Buch Österreichische Bürgerkunde"
Österreichische Bürgerkunde
- Titel
- Österreichische Bürgerkunde
- Autor
- Heinrich Rauchberg
- Verlag
- Verlag von F. Tempsky
- Ort
- Wien
- Datum
- 1911
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.4 x 24.0 cm
- Seiten
- 278
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918