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XXX. Die Freiheit der nationalen Entfaltung. 135
Prüfung und Genehmigung ihres Inhaltes ab; aber die Drucker sind gehalten,
die einzelnen Nummern periodischer Druckschriften sowie Broschüren (nicht auch
Bücher mit mehr als fünf Bogen) der Behörde vorzulegen, um bei strafbarem
Inhalte die rechtzeitige strafgerichtliche Verfolgung und im Zusammenhange
damit Beschlagnahme und Verbreitungsverbot zu ermöglichen.Um eine periodische
Druckschrift herausgeben zu können, sind lediglich das Programm der Druck-
schrift und die preßrechtlich haftbaren Personen (Drucker, Verleger, Herausgeber,
Redakteur) der Sicherheitsbehörde bekanntzugeben. Erhebt diese keinen gesetz-
lich begründeten Einspruch, so kann mit der Herausgabe begonnen werden. Der
Berichtigungszwang berechtigt die Beteiligten, in der Presse unrichtig
mitgeteilte Tatsachen richtig darzustellen^).
Imübrigenbestehtfürden InhaltderDruckschriftenlediglicheinestrafrechtliche
Verantwortlichkeit. Um hiefür die Unabhängigkeit der Rechtsprechung zu sichern,
ordnet das Staatsgrundgesetz über die richterliche Gewalt an, daß bei allen durch
den Inhalt einer Druckschrift verübten Verbrechen und Vergehen— ebenso wie
beipolitischenDelikten—GeschworeneüberdieSchulddesAngeklagtenentscheiden.
DieAusübung des Preßgewerbes wirddurch die Gewerbeordnungan eine Konzession
gebunden. Der Hausierhandel mit Druckschriften und der Straßenverkauf (Kol-
portage) sind verboten; das ist ein schweres Hindernis für die Verbreitung der
Presse.
XXX. Die Freiheit der nationalen Entfaltung.
Zugleichmitdem Konstitutionalismus istdieFragenach derstaatlichen Stellung
und Geltung der Volksstämme entstanden, aus welchen das Staatsvolk Österreichs
sich zusammensetzt. In dieser Frage treffen verschiedene Entwicklungsreihen
zusammen: die Umbildung der ständischen Gesellschaft zur staatsbürgerlichen,
das Erwachen des nationalen Gedankens in den breiten Volksschichten und die
Politisierung der Gesellschaft, vermöge welcher die einzelnen Volksstämme ihre
nationalen Forderungen beim Staate anmelden^). Sobald die Volksstämme sich
nicht mehr lediglich als Objekte patrimonialer oder staatlicherHerrschaft sondern
als Glieder des Staatskörpers fühlen, nützen ihre Angehörigen die staatsbürger-
lichen Rechte, um ihr Volkstum im Staate zur Geltung zu bringen: ihre Anliegen
an die Gesetzgebung und Verwaltung durchzusetzen und dadurch die Bedingungen
nationaler Kulturentfaltung zu verbessern. Diese Bestrebungen werden aber
gehemmt durch die konkurrierenden Ansprüche anderer Volksstämme und durch
die Rücksicht auf die notwendige Einheitlichkeit des Staatswesens. Sie zieht dem
nationalen Egoismus Schranken und erfordert für wichtige Belange eine Ver-
kehrs- oder Vermittlungssprache, die nach der historischen Entwickelung Öster-
reichs und auch nach der gegenwärtigen Lage der Dinge keine andere sein kann
alsdiedeutsche. So hängt denn auch die nationale Frage auf das engste zusammen
mit dem großen politischen Gegensatz zwischen Zentralismus und Föderalismus.
Die Grundlage des österreichischen Nationalitätenrechtes^) bildet der Artikel 19
des Staatsgrundgesetzes über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger. Im An-
^) Der Veröffentlichungszwang legt periodischen Druckschriften, die Inserate
aufnehmen, die Verpflichtung zur Veröffentlichung amtlicher Erlässe auf. — *) Vergl. Otto
Bauer, Die Nationalitätenfrage und die Sozialdemokratie. Wien 1907. — ') Vergl. R. von
Herrnritt, Nationalität und Recht. Wien 1899.
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Buch Österreichische Bürgerkunde"
Österreichische Bürgerkunde
- Titel
- Österreichische Bürgerkunde
- Autor
- Heinrich Rauchberg
- Verlag
- Verlag von F. Tempsky
- Ort
- Wien
- Datum
- 1911
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.4 x 24.0 cm
- Seiten
- 278
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918