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XXXIII. Die richterliche Gewalt u. s. w. '
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ähnliche Formen vorgeschrieben, wie für die Ausnahmsverordnungen und sie
unterliegen der gleichen parlamentarischen Kontrolle wie diese.
Als letzte Quelle des Rechtes sind endlich die S t a a t s v e r t r äg e zu er-
wähnen. Die Staaten schließen sowohl privatrechtliche als auch völkerrechtliche
Verträge ab. Beide Arten von Verträgen sind Rechtsgeschäfte, ,die zunächst nur
die Staaten verpflichten, die einen in privatrechtlicher, die anderen in völker-
rechtlicher Hinsicht. Aber die Staatsverträge können auch für das innere Staats-
recht dadurch von Belang werden, daß ihre Durchführung in die innere Rechts-
ordnung der Staaten übergreift. Die staatsrechtliche Seite der Staatsverträge ist
bereits imXVI. Kapitelbesprochenworden, die völkerrechtlichewkdimXXXVIIL
Kapitel kurz erörtert werden; hier handelt es sich um ihre Rückwirkung auf die
innere Rechtsordnung. Voraussetzung hiefür ist die Kundmachung der Vertrags-
urkunde im Reichsgesetzblatte, womit zugleich die innere „Wirksamkeit" des
Staatsvertrages ausgesprochen wird. Erfordert der Staatsvertrag seinem Inhalte
nach die Genehmigung des Parlamentes, so ersetzt die formelle Kundmachung
desVertrages den Gesetzesbefehl; der Vertrag hat dann die Geltung eines Gesetzes.
Im anderen Falle bedeutet die Veröffentlichung soviel wie eine Verwaltungs-
verordnung.
B. Die ßechtsprechung.
XXXIII. Die richterliche Gewalt und die Organisation der Gerichte.
Nicht nur die Rechtsordnung zu schaffen, auch sie aufrecht zu erhalten, ist
Aufgabe des Staates. Diese Aufgabe erfüllt er, indem er sowohl die objektive
Rechtsordnung als auch die ihr entspringenden subjektiven Rechte vor rechts-
widrigen Angriffen schützt. Der beste Schutz des Rechtes besteht freilich in der
rechtüchen Gesinnung der Staatsbürger, die sie zur Einhaltung der Rechtsregeln
und zur Erfüllung ihrer öffentlichen und privaten Verpflichtungen antreibt. Eine
solche Gesinnung hervorzurufen, zu verbreiten und zu befestigen, gehört mit zu
den wichtigsten Aufgaben staatsbürgerlicher Erziehung, in die Schule und öffent-
liches Leben sich teilen. Aber der Staatmuß stets bereit sein, Störungen der Rechts-
ordnung zu verhüten oder doch zu sühnen und dem Geschädigten Genugtuung
zu verschaffen. Denn nicht jeder kennt das Recht und nicht jeder beachtet es;
mancher täuscht sich über sein Recht und in manchem Streite ist es zunächst
ungewiß, auf wessen Seite es steht. Selbsthilfe würde das Übel nur vermehren,
denn sie läßt die Rechtsfrage unentschieden und führt zur Gewalttat. Darum
verbietet der Staat die Selbsthilfe, außer es handelte sich um gerechte Notwehr,
um einen rechtswidrigen Angriff auf Leben, Freiheit oder Vermögen abzuwehren..
Dafür gewährt erdem in seinem Rechte Verletzten einen Anspruch auf staatlichen
Rechtsschutz. Der Urteilsspruch des Richters entscheidet, was Rechtens
ist; er befiehlt den Beteiligten ein dem Rechte entsprechendes Verhalten, das durch
den Vollzug des Urteiles nötigenfalls erzwungen wird. Die mit der Rechtsprechung
betrauten Behörden werden Gerichte genannt, die dazu berufenen Beamten,
auch die Ehrenbeamten (Geschworene und Beisitzer aus dem Laienstande) heißen
Richter. Im modernien Staate steht die Rechtspflege ausschließlich dem
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Buch Österreichische Bürgerkunde"
Österreichische Bürgerkunde
- Titel
- Österreichische Bürgerkunde
- Autor
- Heinrich Rauchberg
- Verlag
- Verlag von F. Tempsky
- Ort
- Wien
- Datum
- 1911
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.4 x 24.0 cm
- Seiten
- 278
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918