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XXXIX. Die Wehrmacht. 167
Jedem Volke legt die Erhaltung der Wehrmacht Opfer an persönlicher Un-
gebundenheit und wirtschaftlichen Gütern auf. Die persönlichen Opfer liegen in
der Erfüllung der Wehrpflicht, die wirtschaftlichen nicht nur in der Vermehrung
der Steuerlast durch den Personal- und Sachbedarf der Wehrmacht, sondern
auch darin, daß der Volkswirtschaft zahh-eiche Arbeitskräfte durch den aktiven
Militärdienst entzogen und auch gewisse wu-tschaftliche Leistungen für militärische
Zwecke, die sogenannten Militärlasten^), gefordert werden. Allein diese Opfer
sind nun einmal unvermeidlich; sie werden nicht etwa dem „Militarismus" ge-
bracht, sondern sie gelten der Sicherheit und der Zukunft des Staates. Das so-
genannte militärische Interesse ist nichts anderes als das eigene Interesse
des Staatsvolkes an seiner Wehrkraft und an der machtvollen Durchsetzung
seiner auswärtigen Interessen. Wehrverfassung und politische Verfassung hängen
daher eng miteinander zusammen.
Die Richtigkeit dieses Gedankenganges tritt desto klarer zutage, je deutlicher
mit der Ausbildung des modernen Staates die Staatsinteressen als die Solidar-
interessen des Staatsvolkes erkannt werden. An die Stelle der Werbung und der
Konskription, die nur einen Teil der Bevölkerung zum Kriegsdienste heranzogen,
ist daher in den meisten europäischen Staaten die allgemeine Wehr-
pflicht getreten^). In Österreich und Ungarn ist sie seit 1868 eingeführt. Sie
allein entspricht der staatsbürgerlichen Gleichheit vor dem Gesetze, dem all-
gemeinen Wahlrechte und der allgemeinen Steuerpflicht. Gleicher Anteil aller
am Staate, gleiche Hingebung an den Staat!
Aus dem konstitutionellen Gedanken folgt, daß die Volksvertretung Einfluß
hat auf das Maß der Pflichten und der Lasten, die die Wehrmacht jedem Einzelnen
und der Volkswirtschaft auferlegt. Anderseits erfordert es die Wehrkraft, daß
alle Machtmittel unter einem Willen und in einer Hand zusammengefaßt
seien. Dies wird erreicht durch den dem Kaiser als sogenanntes Reservatrecht
persönlich zustehenden Allerhöchsten Oberbefehl. Der WiUe, hinter dem
die gesamte Staatsmacht steht, kann kein anderer sein, als der Wüle desjenigen,
der den Staat auch in jeder anderen Hinsicht an höchster Stelle vertritt.
Zwischen dem Einflüsse der Volksvertretungund der Befehlsgewalt des Mon-
archen ist durch die Verfassung eine scharfe Grenze gezogen. Parlamentarischer
Bewilligung und Kontrolle^) unterliegen: Art und Weise sowie Ordnung und
Dauer der Müitärpflicht, die Anzahl der auszuhebenden Mannschaft, die all-
gemeinen Bestimmungen in bezug auf Vorspannleistung, Verpflegung und Ein-
quartierung des Heeres, endlich der durch die Wehrmacht bedingte Aufwand.
Hingegen umfaßt der kaiserliche Oberbefehl alles, was zur Organisation und Be-
tätigung derWehrmacht gehört. „Die Anordnungen in Betreff derLeitung,Führung
und inneren Organisation der gesamten Armee stehen ausschließlich dem Kaiser
^) Einquartierung, Abtretung kriegstauglicher Pferde, Vorspannleistung, Grundeigentums-
beschränkungen und -Abtretungen für militärische Zwecke.— *) Vergl. über das Österreichische
Heereswesen in militärisch-technischer Hinsicht: K. Glückmann: Das Heerwesen der Öster-
reichisch-ungarischen Monarchie. 11. Aufl. Wien 1909 (ein Auszug daraus ist als ,,Lernbehelf
für den Unterricht im Heereswesen an den Kadettenschulen", Wien 1909, in 4. Aufl. erschienen).
In juristischer Hinsicht F. S c hm id : Das Heeresrecht der österreichisch-ungarischenMonarchie.
Wien und Leipzig 1903. — ') Über die Verteilung der Kompetenzen zwischen den beider-
seitigen Parlamenten und den Delegationen vergl. oben S. 62.
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Buch Österreichische Bürgerkunde"
Österreichische Bürgerkunde
- Titel
- Österreichische Bürgerkunde
- Autor
- Heinrich Rauchberg
- Verlag
- Verlag von F. Tempsky
- Ort
- Wien
- Datum
- 1911
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.4 x 24.0 cm
- Seiten
- 278
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918