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XLVI. Die soziale Fürsorge. 211
herausgreifen: die öffentliche Armenpflege und die Sozialversicherung. Diese ist
die jüngste, jene die älteste Form sozialer Fürsorge; diese wir^ rein präventiv,
jene überwiegend repressiv.
2. Die öffentliche Armenpflege.
Arm ist, wer die für den Lebensunterhalt erforderlichen Mittel weder besitzt,
noch mit eigenen Kräften zu ge^vinnen vermag. Lange Zeit nahm sich nur die
lürche um die Armenpflege an. Im Aufklärungszeitalter trat zur religiös-charita-
tiven Armenpflege eine auf humanitären Erwägungen beruhende gesellschaftliche
Fürsorge hinzu. Erst im 19. Jahrhundert wurde die Armenpflege grundsätzlich
als eine Aufgabe der öffentlichen Verwaltung anerkannt. Nach dem österreichischen
Gemeindegesetzvon 1862 gehört „das Armenwesenund die Sorge für die Gemeinde-
wohltätigkeitsanstalten" zum selbständigen Wirkungskreise der Gemeinde. Die
näheren Bestimmungen hierüber sind in den Landesarmengesetzen enthalten;
zumeist sind sie rückständig und unzulänglich. Im Anschlüsse an die älteren Be-
stimmungen bildet das Heimatsrecht die Grundlage des Unterstützungsanspruches,
doch tritt im Dringlichkeitsfalle die Aufenthaltsgemeinde für die Heimatsgemeinde
ein, um augenblickliche Bedürfnisse zu befriedigen. Die Gemeinde ist zur Armen-
unterstützung jedoch nur (subsidiär) verpflichtet, wenn nicht etwa dritte Personen
für den Unterhalt des Armen zu sorgen haben oder tatsächlich sorgen. Art und
Maß der Leistung bestimmt die Gemeinde nach freiem Ermessen; sie kann daher
auch abwesende Unterstützungsbedürftige heimfordern. Je nachdem die Armen
in Anstalten untergebracht oder anderweitig unterstützt werden, wird zwischen
geschlossener und offener Armenpflege unterschieden.
Diese Unterscheidung ist auch für die Verteilung der Ai-menlast insofern von
Belang, als für die Erhaltung gewisser Anstalten, z. B. der öffentlichen Kranken-
anstalten, some für die anderweitig uneinbringlichen Verpflegskosten weitere
Verbände, in der Regel die Länder, aufkommen. Der Versuch, die Kosten der
Armenpflege den oft leistungsunfähigen Gemeinden wenigstens teilweise abzu-
nehmen und weiteren Verbänden aufzuerlegen, ist bisher nur in wenigen Ländern
unternommen worden. So sind z. B. in Niederösterreich Armenbezh-ke im Umfange
der Bezirksgerichtssprengel geschaffen worden, auf welche die Rechte und Pflichten
der Ortsgemeinden hinsichtlich der Ai-menpflege übergegangen sind.
Die Durchfülirung der Ai-menpflege obliegt in der Regel den Gemeinde-
organen; in einigen Ländern sind besondere ehrenamtlich bestellte Kommissionen
oder Armenpfleger vorgesehen. Für städtische Verhältnisse hat sich das sogenannte
Elberfelder System der offenen Armenpflege als ersprießlich erwiesen, das auch
von einer Anzahl von österreichischen Städten angenommen worden ist. Es besteht
darin, daß das Stadtgebiet in zahlreiche, möglichst kleine Pflegebezkke eingeteilt
wird, deren Arme je einem Pfleger zuge^^iesen sind. Die Pfleger prüfen die Lage
der Bewerber und beantragen die nach der besonderen Sachlage gebotenen Maß-
nahmen, über welche die Pflegschaftsbehörde nach einem bestimmten Tarif ent-
scheidet. Die Vorzüge des Elberfelder Systems bestehen darin, daß sich morahsch
hochstehende Personen um die Ai-men annehmen, sie beraten und fördern, daß
die Unterstützungen nach Art und Maß der Beschaffenheit des Falles angepaßt,
also individualisiert werden, und daß das Augenmerk darauf gerichtet ist, die
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Buch Österreichische Bürgerkunde"
Österreichische Bürgerkunde
- Titel
- Österreichische Bürgerkunde
- Autor
- Heinrich Rauchberg
- Verlag
- Verlag von F. Tempsky
- Ort
- Wien
- Datum
- 1911
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.4 x 24.0 cm
- Seiten
- 278
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918