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216 XLVI. Die soziale Fürsorge.
Als versicherungspflichtig werden darnach nicht nur die unselbständig
Erwerbtätigen erklärt, welche im Arbeits-, Dienstes- oder Lohnverhältnisse
stehen, sondern auch jene selbständigen Erwerbtätigen, deren einkommensteuer-
pflichtiges Einkommen im Jahre 2400K nicht übersteigt oder die regelmäßig
nicht mehr als zwei familienfremde Lohnarbeiter beschäftigen. Durch die Ein-
beziehung der unteren Schichten der Selbständigen soll die Arbeiterversicherung
zu einer allgemeinen Volksversicherung erweitert werden.
Gegenstand der Versicherung sind Renten für den Fall der Invalidität^) und
des Alters und Kapitalsbeträge zugunsten der Hinterbliebenen. Eine Invaliden-
rente soll erhalten, wer „infolge von Alter, Krankheit oder anderen Gebrechen
voraussichtlich dauernd nicht imstande ist, durch eine seinen Kräften und Fähig-
keiten entsprechende Lohnarbeit, die ihm unter billiger Berücksichtigung seiner
Ausbildung und seines bisherigen Berufes zugemutet werden kann, ein Drittel
desjenigen zu erwerben, was körperlich und geistig gesunde Personen derselben
Art mit ähnlicher Ausbildung in derselben Gegend durch Arbeit zu verdienen
pflegen". Der Anspruch auf Altersrente tritt ohne Rücksicht auf die Arbeits-
fähigkeit nach Vollendung des 65. Lebensjahres ein. Die Höhe der Alters- und
Invalidenrenten hängt von den nach Lohnklassen abgestuften Einzahlungen und
der Dauer der Versicherung ab. Die Renten setzen sich aus einem Grundbetrag
und einem Steigerungsbetrag zusammen. Der Grundbetrag beträgt das fünffache
des durchschnittlichen jährlichen Versicherungsbeitrages, vermehrt um einen
Zuschuß von 90 K, den der Staat zu jeder laufenden Rente jährlich leisten will,
solange nicht das Einkommen des Bezugsberechtigten 2400K jährlich übersteigt.
Als Steigerungsbetragkommen zweiZehntel der während der ganzenVersicherungs-
dauer geleisteten Beiträge hinzu. Die Witwen von Rentenempfängern erhalten
den vollen Grundbetrag, Waisen den halben, Doppelwaisen den vollen Grundbetrag
als einmalige Abfertigung. Die Ansprüche auf alle diese Leistungen treten jedoch
erst nach einer Wartezeit ein, die zur Ansammlung der für die Versicherungs-
leistungen erforderlichen Kapitalien ausreicht; für die Invalidenrenten und die
Altersrenten der Selbständigen dauert sie 200 Beitragswochen, für die Altersrenten
der Unselbständigen 30 Jahre, für die Abfertigungen der Witwen und Waisen
40 Beitragswochen.
Die Mittel werden, abgesehen von dem bereits erwähnten Staatszuschuß, der
allen Steuerträgern zur Last fällt, durch Beiträge aufgebracht, die für die Unselb-
ständigen nach sechs Lohnldassen abgestuft, für die Selbständigen aber mit festen
Mindestbeiträgen festgesetzt sind. Den Landesgesetzgebungen soll es vorbehalten
bleiben, die Leistungen und damit auch die Anwartschaften der selbständig Erwerb-
tätigen zu erhöhen. Von den Beiträgen für die Unselbständigen fällt die Hälfte
dem Dienstgeber, die andere Hälfte dem Dienstnehmer zur Last^).
Als Versicherungsträger ist eine Invaliden- und Rentenversicherungsanstalt
in Aussicht genommen, die sämtliche Versicherten zu einer einzigen Gefahren-
gemeinschaft zusammenfaßt. Den Unterbau der Sozialversicherung werden Bezirks-
*) Auf Invalidenrenten haben jedoch nur die unselbständigen Versicherten Anspruch,
die selbständigen nur bedingungsweise im Hinblicke auf eine frühere unselbständige Erwerbs-
tätigkeit. — *) Die jährlichen Kosten der Alters- und Invalidenversicherung werden in der
Regierungsvorlage auf 129Millionen, dieKosten dergesamt«n Sozialversicherungauf 288MillionenK
geschätzt.
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Buch Österreichische Bürgerkunde"
Österreichische Bürgerkunde
- Titel
- Österreichische Bürgerkunde
- Autor
- Heinrich Rauchberg
- Verlag
- Verlag von F. Tempsky
- Ort
- Wien
- Datum
- 1911
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.4 x 24.0 cm
- Seiten
- 278
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918