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Vorwort
Für die Spielgestaltung dieser Bühne wird in Zukunft ein Mann zuständig sein, der im „Völki-
schen Beobachter“ gewisse Anschauungen eines Künstlers wie Leopold Jeßner als „mauschelnde
Ideale“ kennzeichnete. Gegenüber solchen Tendenzen ist es von höchster Wichtigkeit, daß eine
Bühne besteht und ungehemmte Wirkungsmöglichkeiten hat, die ihr Programm unabhängig von
nationalistischen und rassepolitischen Einflüssen gestaltet, die für eine parteipolitisch unge-
bundene, aber von freiheitlichen Gesichtspunkten bestimmte Kunstpflege eintritt.40
Als eine solche sieht der anonyme Kommentator naturgemäß die Volksbühne an,
doch auch sie, die ab dem 31.Mai 1933 offiziell die Bezeichnung „Theater am Horst-
Wessel-Platz“ führen musste, stand spätestens zu diesem Zeitpunkt unter der Auf-
sicht und Kontrolle des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda.41
Hilpert, der das Theater seit dem 1. Juli 1932 leitete, hatte zwar eine relative künst-
lerische Freiheit, in die Spielplangestaltung wurde aber von der Abteilung T, der
Theaterabteilung des Propagandaministeriums, immer wieder eingegriffen. So hatten
geplante Stücke dem Ministerium vorab vorgelegt zu werden. Da die Nationalsozia-
listen nach dem Exodus eines Großteils der wichtigen Theaterleute bereits im Jahre
1933 fürchteten, dass Berlin und ganz Deutschland ins kulturelle Mittelmaß absin-
ken könnte, konnte Hilpert aber dennoch einige neuere Stücke durchbringen.42 Die
Volksbühne avancierte unter ihm zum führenden Theater Berlins. Ab der Spielzeit
1934/35 wurde er von Propagandaminister Goebbels an das Deutsche Theater Berlin
berufen, das er zehn Jahre lang leiten sollte. Noch als Leiter der Volksbühne erstellte
Hilpert bereits den Spielplan für das Deutsche Theater.43 Am 2. Juni 1934 berichtet
das 12-Uhr-Blatt, dass Theaterdirektor Hilpert soeben das neueste Werk Ödön von
Horváths,Himmelwärts, als Uraufführung angekündigt habe. Dem folgten Polemiken
in den nationalen Blättern gegen Hilpert und Horváth. Hilpert wurde vom so ge-
nannten Reichsdramaturgen Rainer Schlösser ausdrücklich angewiesen, „daß Hor-
váth nicht in Frage käme“.44 Der spätere künstlerische Beirat an Gustaf Gründgens’
Schauspielhaus, Alfred Mühr, schrieb in einem Artikel in derDeutschen Zeitung vom
5. Juni 1934:
Oedön Horvath im Deutschen Theater?
Kaum hat Hilpert die eine Schlappe überwunden [gemeint ist der Streit um das StückMary Du-
gan; Anm.]45, so bereitet er sich wiederum selbst die zweite. Wie bekannt wird, hat er als Leiter
des Deutschen Theaters Oedön Horvaths neuestes Bühnenstück „Himmelwärts“ angenommen.
[…] [V]on solch einem literarischen Wicht führt Heinz Hilpert gleich in der ersten Spielzeit des
neuen Deutschen Theaters ein Stück auf! Ist das nicht allzu kühn im alten liberalistischen Sinne
einer Theaterleitung? Sieht das nicht so aus, als wenn Hilpert jedes kulturpolitische Gleichge-
wicht vermissen läßt?46
40 Ebd., S. 2f.
41 Vgl. Michael Dillmann: Heinz Hilpert. Leben und Werk. Berlin: Akademie der Künste/Edition
Hentrich 1990, S. 97.
42 Vgl. ebd., S. 97–99.
43 Vgl. ebd., S. 111.
44 Zitiert nach ebd., S. 112.
45 Vgl. ebd., S. 103–106.
46 Alfred Mühr: Um das kulturpolitische Gleichgewicht. In: Deutsche Zeitung (Berlin), 5.6.1934;
zitiert nach Dillmann 1990 (Anm. 41), S. 112.
Wiener Ausgabe sämtlicher Werke
Historisch-kritische Edition, Band 1
- Titel
- Wiener Ausgabe sämtlicher Werke
- Untertitel
- Historisch-kritische Edition
- Band
- 1
- Autor
- Ödön von Horváth
- Herausgeber
- Klaus Kastberger
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-058470-7
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 338
- Kategorien
- Weiteres Belletristik