Seite - 252 - in Wiener Ausgabe sämtlicher Werke - Historisch-kritische Edition, Band 1
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252 Lesetext
TEUFEL „Gnade“? Hätt gute Lust und tät dich begnadigen! Weißt du, was das heißt,
wenn ich dich begnadige?!
INTENDANT Oh wehe!
TEUFEL Richtig! Oh wehe! Und siebenmal wehe, da du dich derartig bestialisch ge-
weigert hast, freiwillig zu folgen! Schau, wie du ausschaust! Im Pyjama, statt im
frischgebügelten Totenhemd! Schickt sich denn das?! Solche Leut hab ich gern!
Zuerst schließt Er einen Kontrakt mit mir, daß Er mir seine unsterbliche Seele für
fünftausend Jahr verkauft, wenn ich es ihm ermögliche, daß Er zwanzig Jahr lang
Intendant sein kann – dann wird Ers, trotzdem daß Er ein total amusischer
Mensch ist. Aber wie Er jetzt den Kontrakt erfüllen soll, da schlagt Er mit Händ
und Füß um sich! Pfui Ich! Weg mit ihm!
INTENDANT Euer Ungnaden! Laßt mich nur noch ein bisserl leben, und ich bring Euch
eine neue Seel!
TEUFEL Töricht! Abgeschmackt! Als krieget ich nicht Seelen, mehr als ich verdauen
kann! Wenn das so weitergeht, muß ich nächstes Jahr eh aufstocken! Und alles
nur Fegefeuer!
INTENDANT Aber was Fegefeuer! Ich bring Euch eine Seele für die Ewigkeit!
TEUFEL Das ist ein großes Wort!
INTENDANT Ehrenwort!
(Stille)
TEUFEL (miauzt in Steigerung wollüstig; er denkt nach und spielt dabei automatisch
mit dem Schwanz.) Für die Ewigkeit? Das muß ich mir mal durch den Schwanz
gehen lassen! (Er wirft einen Blick auf den Himmel.) Hat etwas Faszinierendes–
allerdings! (Er fährt den INTENDANTEN an.) Aber nur eine reelle Seele, mit der
man unter anständigen Bedingungen einen unanständigen Kontrakt machen
kann, bitt ich mir aus!
INTENDANT Verbindlichsten Dank, mein Liebster, Bester!
TEUFEL Kusch! Und merk dir das eine, verlotterter Zwerg: Krieg ich keine reelle
Seele, bleibst du mir hier unten verhätschelt bis in alle Ewigkeit!
INTENDANT Ich bring sie, ich hab keine Angst!
TEUFEL Keine Angst? Frechheit! Raus!
INTENDANT (klettert nun die Höllenleiter hinauf zur Erde.)
TEUFEL Marsch auf die Leiter, ab, ab, ab, hinauf auf die Erde! Schau, daß du weiter-
kommst, du – du – Theaterdirektor!
VII.
Auf der Erde.
Abermals vor dem Bühnentürl und abermals während der Abendvorstellung. Die
schwarze Fahne hängt herab, und Schnee fällt in sanften Flocken. – LUISE wartet
noch immer auf dem Bankerl, weit und breit allein.
LUISE Jetzt schneit es, und ich hab meine Mutter gefragt, ob sie an mich denkt, daß
ich keinen Schal habe. Doch sie hat mir keinen Engel geschickt. Und die Men-
schen schaun zum Fenster hinaus, und es kümmert sie nicht, ob man friert. Oder
sie gehn an einem vorbei und grüßen, tun aber nur so. Und dann sterben die Men-
schen und vergessen mich. – Nein! Ich lasse nicht locker! Ich warte, ich wart! –
Vielleicht kommt der neue Intendant. Ein neuer Intendant, der da sagt: „Ziehen
Sie sich um, Fräulein Luise Steinthaler, denn Sie werden sich in allen Illustrierten
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45 Himmelwärts Endfassung, emendiert
Wiener Ausgabe sämtlicher Werke
Historisch-kritische Edition, Band 1
- Titel
- Wiener Ausgabe sämtlicher Werke
- Untertitel
- Historisch-kritische Edition
- Band
- 1
- Autor
- Ödön von Horváth
- Herausgeber
- Klaus Kastberger
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-058470-7
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 338
- Kategorien
- Weiteres Belletristik