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tischem Adel; sie war wohl eine Cousine Theoderichs des Großen. Ihre Vermählung mit
Feletheus = Fewa leitete ein kurzlebiges Bündnis zwischen Ostgoten und Rugiern ein.
Der germanische Stamm der Rugier herrschte über eines jener kleinen Königtümer, die sich
nach dem Zerfall des Hunnenreiches gebildet hatten und die meist nur wenige Jahrzehnte
bestanden; im vorliegenden Falle von etwa 454 bis 488 n. Chr. In den Kämpfen um die Vor-
herrschaft auf dem Territorium des untergegangenen weströmischen Reiches wechseln die
Rugier wiederholt die Seiten, bis sie schließlich von Odoaker endgültig besiegt werden. Die
Überlebenden gehen im Volk der Ostgoten auf.
Das Königreich der Rugier, genannt Rugiland, umfasste das südliche Wald- und Weinvier-
tel. Zentrum war die Gegend von Krems/Langenlois. Teile der römischen Provinz Noricum
(Noricum ripense) jenseits der Donau standen unter rugischer Kontrolle. Das Verhältnis der
in Noricum ansässigen Romanen zu den Rugiern war nicht ganz schlecht, vor allem wegen
der Vermittlertätigkeit des heiligen Severin, der das Vertrauen von König Flaccitheus genoss,
dessen politischer Berater er war. Plünderungen und Verschleppungen waren dennoch an
der Tagesordnung. G. konnte sich, wenn sie schlechte Laune hatte, römische Einwohner
vom anderen Ufer als Sklaven herbeischaffen lassen. Diese wiederum zu befreien hatte sich
der heilige Severin zur Aufgabe gemacht, wie sein Biograph Eugipp berichtet. Meist war
er erfolgreich, doch G. lehnte sich wiederholt gegen ihn auf und beeinflusste auch ihren
Mann negativ. Zweifellos war sie eine starke Persönlichkeit, stolz auf ihre adelige Herkunft
und nicht gewohnt, Einsicht zu zeigen, eine andere Meinung gelten zu lassen oder sich der
Entscheidung eines anderen zu beugen. Es darf allerdings bezweifelt werden, dass sie sich
darin von vergleichbaren Persönlichkeiten derselben Zeit besonders unterschied.
Der Severin-Biograph Eugipp, ein Schüler des Heiligen, lässt dennoch kein gutes Haar an
ihr: Unheilbringend, anmaßend, überheblich, böse, jähzornig, grausam und gottlos sind die ste-
henden Beiwörter der späteren Rugier-Königin.
Immerhin scheint sie ihrem Mann gehorsam gewesen zu sein, denn sie stellt ihre Aktivitä-
ten gegen die Katholiken sofort ein, nachdem sich Fewa unter dem Einfluss Severins dage-
gen ausgesprochen hat. Welche Aktivitäten? Nun, G. war, wie alle Goten, Anhängerin der
arianischen Form des Christentums und wollte ihre privilegierte Stellung dazu benutzen,
Katholiken zu Arianern „rücktaufen“ zu lassen. (Die Lehre des alexandrinischen Gelehrten
Arius († 336) war schon beim Konzil von Nicäa 325 als Irrglaube befunden worden. Den-
noch hielten gerade germanische Völker wie Goten, Vandalen und Langobarden bis ins
7. Jh. daran fest.) Mit diesem Vorwissen wird man das negative Urteil des Mönchs Eugipp
jedenfalls etwas kritischer betrachten müssen.
In seinem Bericht ist G. die hochfahrend Unbelehrbare, die immer erst aus Schaden klug
wird, und auch das nur für kurze Zeit. Sie lässt Severin zunächst ausrichten, er solle sich
gefälligst im klösterlichen Kämmerlein um seine Gebete kümmern; sie verfahre mit ihren
Sklaven (d. h.: den römischen Bürgern, s. o.) nach ihrem Belieben. Als aber unmittelbar dar-
auf der kleine Königssohn Fredericus von gefangen gehaltenen Goldschmieden gekidnappt
wird, gibt sie ihre Schuld sofort zu und beklagt lauthals ihre Überheblichkeit dem Heiligen
gegenüber. Die verschleppten Romanen kommen ebenso frei wie die Goldschmiede. (Dies
ist der Anfang der sogenannten Giso-Legende, die später ausgeschmückt wurde. Ob sie
vielleicht sogar als Quelle der Wieland-Sage gelten kann, ist umstritten.) Gemeinsam mit
biografiA.
Lexikon österreichischer Frauen, Band 1, A – H
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- Titel
- biografiA.
- Untertitel
- Lexikon österreichischer Frauen
- Band
- 1, A – H
- Herausgeber
- Ilse Korotin
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79590-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 1422
- Kategorie
- Lexika