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lose Mädchen, für schwangere Frauen, für Mütter mit Säuglingen, Heime für Klein- und
Schulkinder und hatte die Oberaufsicht über diese Pflegestätten inne. 1897 wurde sie in den
Vorstand des Israelitischen Frauenvereins gewählt. In diesem Verein versuchte sie, junge
Mädchen zu einem „pflichttreuen, selbständigen Leben auszubilden“. Hauswirtschaft und
das traditionelle jüdische Leben standen dabei an erster Stelle. Zu dieser Zeit schrieb sie
auch Beiträge über die Frauenfrage, unter anderem für die „Allgemeine Zeitung des Juden-
tums“ und für die Wochenschrift „Ethische Kultur“. 1904 begründete sie den „Jüdischen
Frauenbund Deutschland“ mit und war von 1914 bis 1924 Vorstandsmitglied. Während der
Zeit ihrer Aktivitäten im „Jüdischen Frauenbund“ war dieser auch ein Mitgliedsverein des
Bundes deutscher Frauenvereine. 1907 gründete sie das „Isenburger Heim“ für gefährdete
Mädchen, unverheiratete Mütter und ihre Kinder. Die Heimgründung rief nicht nur posi-
tive Reaktionen hervor, da nach jüdischem Recht unehelich geborene Kinder nicht in die
jüdische Gemeinde aufgenommen wurden und diese meistens den christlichen Heimen in
Obhut übergeben wurden.
B. P. engagierte sich für den Schutz der Frauen in Osteuropa und kämpfte gegen den Mäd-
chenhandel. Sie hielt Vorträge über „Die sozialen Grundlagen der Sittlichkeitsfrage“ und
unternahm zahlreiche Reisen, um mit Mädchen in Bordellen selbst sprechen zu können.
1914 gründete B. P. den „Weltbund jüdischer Frauen“ und war mit Sadie American dessen
Präsidentin. Während des Ersten Weltkrieges wurde sie „Fabrikpflegerin“, unterstützte die
Arbeiterinnen in ihren häuslichen Arbeiten, beaufsichtigte ihre Kinder und stellte medizi-
nische Betreuung bereit. 1917 richtete sie einen jüdischen Mädchenclub in Belgien ein. Ne-
ben ihrer umfangreichen Tätigkeit im Bereich des Sozialwesens beschäftigte sie sich unter
anderem auch mit Handarbeiten und entwarf Schmuck, der in Ausstellungen gezeigt oder
für Spendenaktionen versteigert wurde. Wegen ihrer patriotischen Einstellung sprach sie
sich gegen eine Emigration der Juden aus Deutschland sowie gegen eine Kinderverschi-
ckung aus. 1935 erkrankte B. P. an Krebs. Am 14. April 1936, wenige Wochen vor ihrem Tod,
wurde die schwerkranke Frau auf Grund einer Denunziation von der Gestapo in Offenbach
verhört, wo sie ihre Aussage gegen Hitler bekräftigte. Am 10. November 1938 wurde das
Isenburger Heim von den Nationalsozialisten niedergebrannt.
B. P. trug durch ihren eigenen „Fall“, dessen Behandlung sie wesentlich mitgestaltete, zu
grundlegenden Erkenntnissen der Psychoanalyse bei, in einer Zeit, wo die Behandlung
„nervöser“ Leiden festgefahren war und unbefriedigend ausschließlich auf somatisch-orga-
nische Ursachen zurückgeführt wurden.
In den 1890er Jahren entfaltete sich B. P. zur energiereichsten, zielsichersten, unbeirrtesten
und furchtlosesten Persönlichkeit bei der Entdeckung und Analyse von Ursachen sozialer
Notstände, Entwicklung von Hilfsmaßnahmen, Propagierung ihrer Ziele, Schulung weibli-
cher Hilfskräfte, Sammlung von Geldern und Koordinierung von Maßnahmen.
B. P. forcierte die Umstellung von privater, aus der Ghettozeit stammender, unwirksam
gewordener individueller Wohltätigkeit in eine von Vereinen betriebene, die neuesten Er-
kenntnisse wirksamer Fürsorge berücksichtigende, soziale Hilfsarbeit.
B. P. sprach sich gegen allzu orthodoxen Religionsunterricht aus, der für die Frau alles Welt-
liche als schädlich ausschloss. Auf der Delegiertenkonferenz von 1907 meinte sie: „Vor dem
jüdischen Gesetz ist die Frau kein Individuum, keine Persönlichkeit, nur als Geschlechts-
biografiA.
Lexikon österreichischer Frauen, Band 3, P – Z
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- Titel
- biografiA.
- Untertitel
- Lexikon österreichischer Frauen
- Band
- 3, P – Z
- Herausgeber
- Ilse Korotin
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79590-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 1238
- Kategorie
- Lexika