Seite - 11 - in Aus Österreichs Höhe und Niedergang - Eine Lebensschilderung
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Neujahrsgniß, den Napoleon III. unserem Botschafter, Baron Hüb-
ner, kredenzte— ein Gruß, der heutzutage als Unikum politischer
Naivität angesehen werden würde—, sondern ich denke an den be-
rühmten Kometen jenes Jahres. In meinem langen Leben sah ich
nie einen Wandelstern, der an Schönheit und Pracht jenem Kriegs-
verkünder gleichgekommen wäre. In der Erdnähe maß er gewiß
30 Bogengrade.
Der Kriegsruf löste in der loyalen Provinzhauptstadt die mächtig-
ste Erregung aus. Auch mein latenter Überpatriotismus schäumte
im reinsten Paroxismus auf. Dabei durchwühlte mich der Schmerz,
daß ich bei den Knabenspielen stets den ,,Franzosen" abgeben mußte,
weü ich einen hellblauen Anzug hatte, und dies dieFarbe des
, .Fein-
des" auf allen Bilderbogen war. Wir— die Franzosen— waren stets
in der Minderzahl und bekamen meist Prügel. Leider übte dies auf
die Entscheidungen in Oberitalien keinen Einfluß aus.
Großvater und Vater, beide überzeugte Patrioten, waren in stän-
diger Meinungsverschiedenheit, besonders über die strategischenMaß-
nahmen. In meines Vaters Brust stritt der unbedingte Patriotismus
mit einer gewissen Aversion gegen das müitärische Element, da die
grenzenlose dynastische Ergebenheit des altösterreichischen Beamten
den Abfall der ungarischen Regimenter im Jahre 1848 nicht ver-
gessen ließ.
Aus diesem Patriotismus bekam auch meine Mutter einmal eine
Strafpredigt ab. Während des Kriegeswurde eineaus Parisstammende
Farbe modern, die den Namen „Solferinorot" führte. Ahnungslos
wies meine Mutter ein Tuch in dieser Farbe vor. Darob helles Ent-
setzen des Vaters. Eine Agitation, die er einleitete, erbrachte den
Erfolg, daß man die Farbe im Orte „Selferinrot" nannte, bis sie dann
durch eine andereModefarbe, etwa,,Parlamentsblau", abgelöstwurde.
Damals sprach man viel von Verfassung, Reichsrat, Wahlen, und
abendliche iSerenaden mit Fackelbeleuchtung, Musik, Reden, Hoch-
und Hurrarufen ließen mich den konstitutionellen Aufbau eines Ver-
fassungsstaates als eine amüsante und erfreuliche Regierungsform er-
kennen. Mein Vater war sichtlich anderer Meinung. Dabei sprach
er oft das Wort „Zentralismus" aus. Es war mir damals vollkommen
unverständlich. Später erfuhr ich, daß es der Ausdruck einer Idee
war, der man zu jener Zeit das Grab geschaufelt hatte.
Die im Volke beginnenden freiheitlichen Regungen machten sich
in Sänger- und Turnerfesten geltend, die einen stramm treudeutschen
Charakter trugen. Die „Wacht am Rhein" wurde allerdings noch
nicht gesungen, doch wehte, zum Verdruß der Konservativen, die
schwarz-rot-goldene Trikolore. Dagegen gab's amGymnasium einen
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Aus Österreichs Höhe und Niedergang
Eine Lebensschilderung
- Titel
- Aus Österreichs Höhe und Niedergang
- Untertitel
- Eine Lebensschilderung
- Autor
- Auffenberg von Komarów
- Verlag
- Drei Masken Verlag München
- Ort
- München
- Datum
- 1921
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 13.4 x 21.6 cm
- Seiten
- 536
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918