Seite - 74 - in Aus Österreichs Höhe und Niedergang - Eine Lebensschilderung
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geführt wurden, kam ich zu jener nach Agram als Lehrer der Taktik
und Stellvertreter des Kommandanten. Wenngleich mir dadurch
das Regimentskommando für ein weiteres Halbjahr entging, inter-
essierte mich die neue Institution doch sehr imd gab mirGelegenheit,
mich mit meinem Lieblingsthema eingehend zu beschäftigen.
In das folgende Jahr— ich weilte eben damals mit meiner Familie
bei den Schwiegereltern zu Besuch— fiel das große Erdbeben in Lai-
bach. Dieses erschütternde Naturphänomen trat in der Nacht vom
Ostersonntag auf -Montag ein, nachdem unmittelbar vorher ein
jäher Kälterückfall der sommerlichen Wärme gefolgt war. Der erste
Stoß glich einer furchtbaren Dynamitexplosion. Die Fenster der
Häuser fielen auf die Straße, in den Zimmern stürzten die Öfen ein,
schwere Kasten wurden umgestoßen, und die Türen verankerten sich
derart, daß man sie aufbrechen mußte. Als wir im Nachtkleide aus
dem geborstenen Haus flüchteten, fingen durch die Erderschütterung
die Glocken an zu läuten, und die Sterne glitzerten durch die klaffen-
den Sprünge der wankenden Mauern. Hunderte von Menschen in
den abenteuerlichsten Kostümen heulten, beteten, fluchten auf den
Straßen und Plätze?n, und wenn ein neuer Stoß einsetzte, schrie die
entsetzte Menge zum Himmel. Nicht weniger als 140 Stöße zählten
wir bis zu den Morgenstunden. Ich habe im Leben fast alles mit-
gemacht, was ein Mensch mitmachen kann, aber kaum etwas hat
mich mehr erschüttert als jene Osternacht 1895.
Im Frühjahr 1895 erhielt ich das Kommando des in Budapest
dislozierten Infanterieregimentes Markgraf von Baden Nr. 23. Ich
stand nur w^enige Wochen an der Spitze dieses ausgezeichneten Re-
gimentes, das ich, als ich eskaum ins Übungslager bei Püiscsaba ge-
führt hatte, verlassen mußte, da ich telegraphisch zur Übernahme
des Regimentes Nr. 78 nach Essegg befohlen wmrde. Dort hatte es
dienstliche und sonstige Unannehmlichkeiten gegeben, die ich hätte
schlichten sollen— eine ehrenvolle Mission, die mich persönlich aber
hart traf, da ich durch diese Kommandierung im Zeiträume eines
halben Jahres die dritte Übersiedlung bestreiten mußte, was unserer
ohnedies nicht allzustraff gefüllten Börse wehe tat.
Essegg war damals eine vollkommen deutsche Stadt, in der nur
nebstbei kroatisch (serbisch) gesprochen wurde. In der Drauniede-
rung gelegen, bietet sie ein Paradies für Jäger. Neben einerUnmenge
von Sumpf- und Wasservögeln gab es Hochwild, wie es wohl nicht
häufig inEuropavorkommt. NördlichderDrau,mdenunermeßlichen
Erzherzog Friedrichschen Forsten von Belye, fanden sich auch fast
alle Potentaten als Gäste des Erzherzogs ein, was dieser Krösus
unter den kaiserlichen Prinzen leicht tragen konnte.
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Aus Österreichs Höhe und Niedergang
Eine Lebensschilderung
- Titel
- Aus Österreichs Höhe und Niedergang
- Untertitel
- Eine Lebensschilderung
- Autor
- Auffenberg von Komarów
- Verlag
- Drei Masken Verlag München
- Ort
- München
- Datum
- 1921
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 13.4 x 21.6 cm
- Seiten
- 536
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918