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Michael Tangl (1861–1921) 69
Hochachtung entgegenbrachte200, pflegte er genauso Kontakt wie mit nichtjüdischen.
Auch mit Bertold Bretholz, der mit ihm den Ausbildungslehrgang am IÖG absolviert
hatte, verband ihn ein, wenn auch lockeres, so doch offenbar recht freundschaftliches Ver-
hältnis. Umso mehr verwundert es, dass Bretholz 1919 einen angeblichen Hinweis Tangls
auf seine jüdische Herkunft für das Scheitern seiner Berufung auf den außerordentlichen
Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität
verantwortlich machte201. Bretholz, der 1889 zum evangelischen Glauben übergetreten
war und seit 1900 als mährischer Landesarchivar tätig war, hatte mit seiner „Kontinui-
tätstheorie“, nach der ein großer Teil der deutschsprachigen Bevölkerung Böhmens und
Mährens nicht erst im Zuge der mittelalterlichen Ostkolonisation, sondern bereits vor
der slawischen Einwanderung dort angesiedelt war, geteilte Reaktionen hervorgerufen202.
Für die Nachbesetzung des Osteuropa-Lehrstuhles nach Theodor Schiemann hatte sich
die auch Tangl angehörende Kommission gegen den Wunschkandidaten des Kultusminis-
teriums, den hauptsächlich publizistisch tätigen Otto Hoetzsch, ausgesprochen und eine
von Tangl angeführte Gruppe von Kommissionsmitgliedern mehrere Anträge zuguns-
200 Im Zusammenhang mit den Versäumnissen Tangls bei der Leitung der MGH während des Ersten Weltkrie-
ges, durch die Bresslau beunruhigt war und hinter den für ihn nachteiligen Folgen er möglicherweise sogar
eine Absicht Tangls erwog, versicherteTangl ihn seiner Unterstützung : Ich habe Sie im Gegenteil stets warm
verehrt und bin bei jeder Gelegenheit für Sie eingetreten. Ich halte es auch jetzt für eine Ehrenpflicht, daß man Sie
nach all den furchtbaren Heimsuchungen, die Sie mitmachen mußten, durch den Vorsitz in der Zentraldirektion
entschädigt. Tangl an Bresslau vom 16.01.1919 (München, Archiv der MGH, B 40) ; zu den Vorgängen, die
dazu führten, dass später trotzdem Kehr anstelle Bresslaus der neue Vorsitzenden der Zentraldirektion wurde,
vgl. Schaller, Tangl (wie Anm. 1) 271–274.
201 Vgl. Brünn, MZA, G 37, Karton 1, Nr. 14, Folio 9 : Dass meine fast schon feststehende Ernennung an der Ber-
liner Universität durch den Rückenstoss meines besten Freundes, Tangl, der das Professorenkolleg vor mir warnte,
weil ich jüdischer Abstammung sei, und mir dadurch meine beste Stütze bei meiner Bewerbung, Prof. Dietrich
Schäfer abspenstig machte, war ein furchtbarer Schlag für mich. Zitiert nach Zdeňka Stoklásková, „Stets
ein guter und zuverlässiger Deutschmährer.“ Zur Laufbahn von Bertold Bretholz (1862–1936), in : Die
„sudetendeutsche Geschichtsschreibung“ 1918–1960. Zur Vorgeschichte und Gründung der Historischen
Kommission der Sudetenländer, hg. v. Stefan Albrecht, Jiři Malíř, Ralph Melville (Veröff. des Colle-
gium Carolinum 114, München 2008) 25–41, hier 33. Dieser Annahme widerspricht jedoch, dass nicht nur
die Berufungskommission, der Tangl angehörte, am 07.07.1919 eine einstimmige Empfehlung für Bretholz
beschloss, und auch die Fakultät sich einstimmig für die Berufung Bretholz’ aussprach, sondern auch dass
das Protokoll der Kommissionssitzung sowie das Schreiben an das Ministerium von Tangl selbst konzipiert
worden ist (Berlin, Archiv der Humboldt-Universität, phil. Fak. Nr. 1468, fol. 124r–127v). Offenbar ging
die Ablehnung auf das Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung zurück, während sich Tangl
gerade besonders für Bretholz eingesetzt zu haben scheint. Auch die weitere Entwicklung der Dinge gibt
keinen Hinweis auf ein Agieren Tangls, wie es Bretholz vermutete. Noch im Juni 1920 empfahl Ludo Moritz
Hartmann Bretholz sich nochmals an Tangl zu wenden, damit dieser neuerlich einen Antrag zu seinen Guns-
ten einbringe, vgl. Stoklásková 31–35.
202 Dazu Stoklásková, Bretholz (wie Anm. 201) 26–30.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 2
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78764-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 678
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien