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Heinrich (Ritter von) Srbik (1878–1951) 299
gezeichnet, zu Herbstbeginn muss der besagte euphorische Zustand199 also beendet gewe-
sen sein200, aber aus welchem Grund ?
Dass sich Srbik durch die allgemeine Unfreiheit, die kriegstreiberische Politik oder die
Verbrechen an den Juden abgestoßen gefühlt hat, kann mit Sicherheit ausgeschlossen wer-
den. Zum einen muss ihm die Herrschaftspraxis der Nationalsozialisten aufgrund seiner
häufigen Aufenthalte im und vielfältigen Kontakte zum Dritten Reich vor 1938 bereits auf
das Beste bekannt gewesen sein, zum anderen hat er gerade diese drei genannten zentralen
Aspekte der nazistischen Machtausübung auch in den Jahren nach 1938 keineswegs etwa nur
im Rahmen von Akademieveranstaltungen201, sondern vielmehr immer wieder auch ohne
199 Bei Posch, Srbik (Bibl.) 190 liest man einmal mehr eine aller schriftlichen Evidenz widersprechende Be-
hauptung („Das Märzereignis des Jahres 1938 weckte in ihm viel mehr bange Sorge als Freude“). Über die
Erzählung Schüßlers, Srbik sei am Abend des 15. März 1938 „von Sorge beschattet“ gewesen und habe als
Folge eines Zustands der Seele, „in welchem sie dunkel[,] aber bestimmt die Zukunft voraussieht“, nicht zu
sprechen vermocht (Wilhelm Schüssler, Sonne [wie Anm. 160] 113 ; vgl. auch Pasteiner, Geschichts-
auffassung [Bibl.] 222), braucht man wohl überhaupt nicht erst lange zu deliberieren – was immer Schüßler
über die NS-Zeit zu berichten weiß, gehört gerade so in die Kategorie des Märchens wie z.B. die „Erinne-
rungen“ Fritz Schachermeyrs an diese Zeit, siehe Pesditschek, Barbar (wie Anm. 106) 271, 375f., 668.
Allerdings will sich auch Wandruszka, Stellung (wie Anm. 123) 10 daran erinnern, dass sein akademischer
Lehrer schon im März 1938 durchaus nicht so jubelte, wie ich das eigentlich von ihm erwartet hatte, und, darauf
angesprochen, die Erklärung gab : Ach, wissen Sie, […] ich weine eben doch der österreichischen Staatlichkeit
manche Träne nach ; diese angebliche elegische Stimmung könnte aber jedenfalls noch nicht gut durch eine
Enttäuschung über den real existierenden Nationalsozialismus bedingt gewesen sein ; Srbik mag sich bloß
nach der endlichen Erreichung eines so lange und inständig angestrebten Ziels für kurze Zeit im sprichwört-
lichen „schwarzen Loch“ befunden haben.
200 Auch Schüßler erwähnt in einem Brief vom 22.09.1938 kleine[n] Wünsche u[nd] Bedenken, die Srbik einige
Zeit zuvor geäußert haben muss ; Srbik, Korrespondenz (Bibl.) Nr. 320. Einschlägig ist hier wohl auch der
etwas elegisch anmutende Grundton von Heinrich Ritter von Srbik, Stirb und werde, in : Das Innere Reich
5, 1. Halbjahresband (April–September 1938) 118f.
201 Dass Srbik bei solchen Anlässen regelmäßig den Erwartungen der Partei voll entsprach und sich höchst re-
gimekonform äußerte, beweist für sich genommen wenig, zumindest wenn man Srbiks späterer Beteuerung
Glauben schenken wollte, dass er durch die Ausübung seines Präsidentenamtes bloß Schlimmeres zu ver-
hüten bestrebt war – offizielle Reden im Rahmen von Akademieveranstaltungen sind ja zudem prinzipiell
gesellschaftlich irrelevant und konnten daher auch grundsätzlich gar keinen Schaden anrichten. Für Srbiks
Akademieansprachen bzw. auch Amtsführung als Akademiepräsident während der NS-Zeit im Allgemeinen
vgl. bes. Franz Graf-Stuhlhofer, Die Akademie der Wissenschaften in Wien im Dritten Reich, in :
Leopoldina-Symposion. Die Elite der Nation im Dritten Reich – Das Verhältnis von Akademien und ihrem
wissenschaftlichen Umfeld zum Nationalsozialismus, vom 9. bis 11. Juni 1994 in Schweinfurt, hg. v. Chris-
toph J. Scriba (Acta historica Leopoldina 22, Halle a. d. Saale 1995) 133–159 ; Matis, Anpassung (wie
Anm. 194) passim ; Gerhard Oberkofler, Politische Stellungnahmen der Akademie der Wissenschaften in
Wien in den Jahren der NS-Herrschaft, in : Arbeiterbewegung – Faschismus – Nationalbewußtsein. FS zum
20jährigen Bestand des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes und zum 60. Geburts-
tag von Herbert Steiner, hg. v. Helmut Konrad, Wolfgang Neugebauer (Wien/München/Zürich 1983)
115–126, 446–448.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 2
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78764-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 678
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien