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Migrationsbewegungen österreichischer
Jüdinnen und Juden nach Palästina vor
1938
Zionismus
Hintergründe und Vorläufer
Folge des im 18. Jahrhundert in zahlreichen europäischen Ländern einsetzenden
Emanzipationsprozesses der jüdischen Bevölkerung war
– besonders im kulturellen
und wirtschaftlichen Bereich – eine Integration in die nichtjüdische Umgebung,
die neben der Hoffnung auf vollständige Gleichstellung von massiver Verunsiche-
rung begleitet war. Adolf Gaisbauer führt die neuzeitliche Krise des Judentums in
seiner Untersuchung über den österreichischen Frühzionismus auf das Verharren
der emanzipationshungrigen Jüdinnen und Juden in einem Niemandsland bzw.
Zwischenstadium zurück und verweist im Kontext der Entwurzelung auf Franz
Kafkas „Westjuden-Käfer“: „Mit den Hinterbeinchen klebten sie noch am Judentum
des Vaters und mit den Vorderbeinchen fanden sie keinen neuen Boden.“42
Das Balancieren zwischen Tradition und Moderne, Akzeptanz und Ablehnung
führte das Judentum in eine Identitätskrise, die insbesondere nach der staatsbürger-
lichen Gleichstellung, als sich viele Jüdinnen und Juden nicht mehr dem jüdischen
Volk zugehörig fühlten, sondern sich ausschließlich als Bürgerinnen und Bürger
des Staates definierten, offenkundig wurde. Wie Shlomo Avineri es beschreibt, hatte
„der moderne säkularisierte und gebildete Jude viele seiner typischen Merkmale
abgelegt, sah sich aber dennoch mit der Schwierigkeit konfrontiert, in einer nicht-
jüdischen Gesellschaft zurechtkommen zu müssen, die ihre eigene Identität trotz
aller kosmopolitischen Prinzipien in nationaler Integration und in nationalem
Zusammenhalt sah.“43 Die mit dem unscharfen Begriff der „Assimilation“44 verbun-
42 Gaisbauer, Davidstern, S. 18, Fußnote 43. Das Originalzitat stammt aus einem Brief Kafkas an
seinen Freund und Verleger Max Brod und bezieht sich auf das Verhältnis der jungen, jüdischen,
Deutsch schreibenden Schriftsteller zu ihrem Judentum (Juni 1921). Dieses Kapitel stützt sich
insgesamt vor allem auf Gaisbauers Einleitung sowie die Porträts bei Shlomo Avineri, The making
of modern Zionism. The intellectual origins of the Jewish State, New York 1981.
43 Ebda., S. 24.
44 An dieser Stelle soll auf die Unschärfe des Terminus „Assimilation“ im Kontext der jüdischen
Adaption an gesellschaftlich vorherrschende Standards verwiesen werden. Die mit „Assimilation“
verbundene Vorstellung einer vollständigen Anpassung an die dominierende Bevölkerungsgruppe
Land der Verheißung – Ort der Zuflucht
Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
- Titel
- Land der Verheißung – Ort der Zuflucht
- Untertitel
- Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
- Autor
- Victoria Kumar
- Verlag
- Studienverlag Ges.m.b.H.
- Ort
- Innsbruck
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7065-5419-0
- Abmessungen
- 15.6 x 23.4 cm
- Seiten
- 216
- Schlagwörter
- Palestine/Israel, Aliyah/Zionism, Jewish history of Austria, National Socialism in Austria, Palästina/Israel, Alijah/Zionismus, Jüdische Geschichte Österreichs, Nationalsozialismus in Österreich
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918