Seite - 11 - in Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen - Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
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sowie allgemein die emotionale Involvierung der BesucherInnen imSinne des
Patriotismus. (Żychlińska und Fontana 2016, 236; Żychlińska 2009) Die Frage
fände keinen Raum, inwiefern der Aufstand, der die weitgehende Zerstörung
WarschauszurFolgehatte,überhaupt sinnvoll gewesensei. (Waśkiewicz 2010,
56) Trotz der prominenten Rolle desMuseums in den polnischen öffentlichen
undwissenschaftlichen Debatten gehen nur wenige Untersuchungenwirklich
indieTiefe,etwaeineAnalysederDarstellungderVerfolgungundVernichtung
polnischer Jüdinnen14 und Juden (Blutinger 2010, 92–94) sowie vor allemMo-
nikaHeinemannsArbeiten. In ihrerDissertationüberdenZweitenWeltkrieg in
polnischen historischen Ausstellungen seit den 1980er Jahren untersucht sie
systematischSelbst-undFeindbilder,dieeinseitigeHeroisierungderAufständi-
schen sowie die Darstellung der Judenverfolgung. (Heinemann 2017) Neu an
meinerArbeit ist derVergleichmitMuseen indenpostsozialistischenNachbar-
ländern, insbesonderemitderEntwicklunginUngarn.15
– DieGedenkstätte Theresienstadt/Terezínwurde 1947 vom tschechoslowa-
kischenStaatgegründet.SiewirdheutevorallemdurchzweiMuseengeprägt:das
MuseumderKleinenFestungwidmetsichdenpolitischenHäftlingendesGestapo-
Gefängnisses, das 1991 gegründeteGhetto-Museumden lange Jahrzehntemar-
ginalisierten jüdischenGhettoinsassen.DieGeschichtederGedenkstätte und den
FokusdesMuseums inderKleinenFestungvorallemaufpolitischeHäftlinge
(Munk2008, 73; Blodig 2005, 221;Hallama2015, 79; Sniegon 2017, 36) analy-
sierenkritischder imMai 2019 verstorbeneGründungsdirektordes staatlichen
Ghettomuseums, JanMunk, undder bis heute amtierendeVize-Direktor derGe-
denkstätte, VojtĕchBlodig, der auch an allenMuseumsführern seit den 1990ern
maßgeblich beteiligt war. Sie schildern die Pläne, während der Liberalisierungs-
phase der 1960er Jahre ein Ghetto-Museum zu eröffnen, die jedochwegen eines
„carefullydisguisedanti-Semitismpractisedby theSovietUnionand theCommu-
nist Party“ (Munk 2001, 18) scheiterten, sodass zwei kleine Vitrinen imMuseum
der Kleinen Festung die einzigen Zeugnisse des Ghettos blieben.Wolfgang Benz
(2013,237)gehtaufdiezuvorundenkbareUnterstützungdurchdie JüdischeGe-
14 IchverwendedurchgehendeineSchreibweise,die, sofernsinnvoll,beideGeschlechterein-
bezieht. InderRegelwähle ichdie ,Innen‘-Schreibweise,außerwenndiessprachlichnichtkor-
rektwäre,daeskeine ‚Jüden‘gibt.
15 Vgl. Radonić 2020. Der Boom der polnischenMuseumslandschaft, welchermit der Eröff-
nungdesMuseumsfürdieGeschichtederpolnischenJuden inWarschau(Janicka2015)einen
wichtigenMeilenstein erreichte, und vor allemdie Kontroverse umdasMuseumdes Zweiten
Weltkriegs in Gdańsk (Machcewicz 2017; Hackmann 2018, 594–597) nach dem neuerlichen
Wahlsieg der PiS 2015 stellen die brennende politische Aktualität des Themas unter Beweis
undbildendenunverzichtbarenKontextderUntersuchungdesAufstandsmuseums.
1 Einleitung 11
Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen
Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
- Titel
- Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen
- Untertitel
- Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
- Autor
- Ljiljana Radonić
- Verlag
- DE GRUYTER
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-072205-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 338
- Schlagwörter
- Gedenkmuseen, postsozialistische Transformationsprozesse, Zweiter Weltkrieg, Europäisierung der Erinnerung, Universalisierung des Holocaust, Geschichtspolitik
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
- Geschichte Nach 1918