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des „Kriegers, der der gequältenMenschheit den Frühling gebracht“ (Lončar
1977, 5) habe, der vonAnfang anverstandenhabe, „dass der Tod eines jeden
EinzelneneineNarbeamKörperderRevolution ist“ (Lončar 1977, 6).Wie spä-
terauch fürTheresienstadtgezeigtwird,gehtdie ideologischeGeschichtsdeu-
tung in einem Guide bis hin zu antisemitischenWelterklärungen, wenn die
OpfervonJasenovac1985beschriebenwerdenals
VertreterdesKapitals: reiche Juden,SerbenundanderenationaleGruppierungen,dieaufder
ListederwenigerWertenwaren.DochdieUstašabringenauchvonBeginndesBestehensdes
Lagers an zahlreicheKroaten aus der Kategorie der ‚Reichen‘hin, also jene, die demneuen
SystemkeineideologischeundmaterielleUnterstützunggegebenhaben.“
(Trivunčić 1985,51)
Die ‚reichen Juden‘ und andere Nicht-Kroaten werden ohne Umschweife als
„Vertreter des Kapitals“ identifiziert, zugleich aber imWiderspruch dazu als
vondenUstašaals„wenigerwert“betrachtetbezeichnet. ‚DieKroaten‘ sindhin-
gegennichteinfachreich,sondern„reich“unterAnführungszeichen,was indie-
semFallkeinequasi-natürlicheEigenschaftwiebei ‚denJuden‘sei.
Während in JasenovacdieDevisevon ,BrüderlichkeitundEinigkeit‘unddas
sozialistisch-antiimperialistische Narrativ bis in die 1980er Jahre ungebrochen
dominierten, stellten andere geschichtspolitische Institutionen die supranatio-
naleErzählungbereits seit den1960er Jahren inFrage. Serbischeundkroatische
Historiker, inersterLinieMänner,debattierenüberden,Anteil‘ ihrerNationenan
derVerantwortung fürKrieg, SiegundKollaborationmit demDrittenReichund
demfaschistischenItalien. (Bašić2009,95)1963befeuerteVelimirTerzićvomInsti-
tut fürMilitärgeschichte inBelgraddenKonfliktmitderBehauptung,alleKroaten
hätten ander Seite derUstašagestanden. (Hudelist 2004, 316) Interessanterweise
war sein Pendant auf kroatischer Seite der spätere kroatische Präsident, Franjo
Tuđman, früherer Tito-Partisane,Armeegeneral undals Zweiter-Weltkriegs-Histo-
riker Direktor des Instituts für die Geschichte der Arbeiterbewegung in Zagreb.
TuđmanschriebgegendieserbischenVorwürfevonder„Genozidalität“derKroat-
Innenan,kritisierte zunächstkorrekterweisedieüberhöhteoffizielleZahlvon
angeblichen700.000OpfernvonJasenovac,kipptedannaber insandereExtrem:
ergabzugeringeOpferzahlenanundbegann,dieVerbrechenderUstašaherun-
terzuspielen.AufgrundseinerAussagenüberdenZweitenWeltkriegverlorer 1967
seinenDirektorpostenundwurdeausderKPausgeschlossen. (Radonić 2010, 122)
Diese konfligierenden Erinnerungen sollten im jugoslawischen Fall ein entschei-
dendesElementnationalistischerMobilisierungwerden– instarkemGegensatz
zurEntwicklung inderTschechoslowakei.
4.1 Vor1989:DieMuseenindersozialistischenÄra 61
Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen
Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
- Titel
- Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen
- Untertitel
- Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
- Autor
- Ljiljana Radonić
- Verlag
- DE GRUYTER
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-072205-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 338
- Schlagwörter
- Gedenkmuseen, postsozialistische Transformationsprozesse, Zweiter Weltkrieg, Europäisierung der Erinnerung, Universalisierung des Holocaust, Geschichtspolitik
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
- Geschichte Nach 1918