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über 30 von Kindern angefertigte – nun als Belege ihres kreativen Schaffens
unterunmenschlichenLebensbedingungenvor ihrerErmordung,meist inAusch-
witz-Birkenau.
Hierwird für ‚ganznormale‘Opfer Empathie geweckt–währendnurmehr
acht Prozent der Fotos Gebäude und Höfe zeigen. Dies spiegelt sich auch im
NarrativderPublikationwider:WährendetwabeiderTyphusbekämpfungnach
der Befreiung des Lagers mal die Rolle sowjetischer, mal tschechischer Ärzte
stärker betont wurde, werden nun erstmals die Häftlinge nicht mehr nur als
Opferdargestellt:„eingroßesVerdienstandessenBekämpfunghattenauchdie
ehemaligenHäftlingeselbst“ (PamátníkTerezín1988,263),heißtesnun.
ImslowakischenFall lässtsichebenfallsderFokusaufGebäudefeststellen,
ohnedassdies inder sozialistischenÄranochdurchbrochenwird.DieMassen-
exekutionen inNemeckáwerdenetwadurcheineAußenaufnahmederKalkfab-
rikdargestellt (MúzeumSNP1985, 61), inder 900Menschenermordetwurden,
die zerstörtenDörfer durch einmenschenleeres Foto eines verbranntenDorfes.
Die Opfer spielen also als Individuen keine Rolle, Repressionwird durch bren-
nende Gebäude dargestellt. Alle fünf Guides zeigen hier auf dem Titelbild das
Museumvonaußen,wennaucheindeutlicherUnterschiedzwischendersozialis-
tischen Inszenierung des Gebäudesmit demMassenaufmarschplatz davor und
dempostsozialistischenGuidemit einemAusschnitt dermarkantenFenster zwi-
schendenMuseumshälftenzusehenist.
Auch die Jasenovac-Führer zeigen zunächst die Blume und andereMahn-
male, die nebenderGedenkstätte errichtete Schule, einenBaum, andemHin-
richtungen stattfanden, die Ortschaft51 Jasenovac in den 1980ern und oftmals
dieBrückeder ,Brüderlichkeit undEinigkeit‘, die nebenderGedenkstätte über
die Save führt und symbolträchtig Kroatien undden serbischenTeil Bosniens,
dasehemaligeHauptlageralsomit seinergrößtenExekutionsstätteaufdeman-
derenUfer inDonjaGradinaverbindet. (Trivunčić 1985)WennOpferabgebildet
werden,dannalsanonyme„KinderohneMütter imLager“. (Trivunčić1974,34)
Die Jasenovac-Publikation aus 1986 hingegen wirkt wie ein Vorbote des
Krieges.SieverwendetnichtmehrdiekroatischeVariantedesSerbokroatischen
(ijekavica), sondern nur mehr serbische Ausdrücke, etwa für Jude jevrej und
nicht židov. Im Sinne der serbischenMobilisierung im „Krieg der Erinnerung“
51 DiekroatischenwiedieslowakischenPublikationenmutenzuweilenmerkwürdigan,wenn
sie denGedenkortmit touristischerBewerbungderGegendverknüpfen: „ein schönerOrt, der
wegen seiner reichen Fisch- und Jagdgründe sowie seiner Hausspezialitäten viele Gäste an-
zieht. Jedes Jahr besuchen tausendeMenschen, Angehörige der Häftlinge, überlebendeHäft-
lingeundMitkämpfer Jasenovac, sie kommen,umdenTotendieEhre zuerweisenundandie
GrauendesFaschismuszuerinnern.“ (Babić1966,16)
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Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen
Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
- Titel
- Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen
- Untertitel
- Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
- Autor
- Ljiljana Radonić
- Verlag
- DE GRUYTER
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-072205-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 338
- Schlagwörter
- Gedenkmuseen, postsozialistische Transformationsprozesse, Zweiter Weltkrieg, Europäisierung der Erinnerung, Universalisierung des Holocaust, Geschichtspolitik
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
- Geschichte Nach 1918