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Rausch der Verwandlung
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der andern beim Nachhauseweg jede mit einem Mann gegen den Wald hin abbiegen. Es ekelt sie. Uralt und müde, unnütz und überrannt fühlt sie sich inmitten dieses gierigen und groben Nachkriegsgeschlechtes, unwillig und unfähig, mit ihnen wettzueifern. Überhaupt: nur nicht kämpfen mehr, nur nicht mehr sich mühen! Nur ruhig atmen, still vor sich hinträumen, seinen Dienst tun, die Blumen gießen am Fenster, nichts wollen, nichts wünschen. Nur nichts herausfordern mehr, nichts Neues, nichts Erregendes: selbst zur Freude hat die Sechsundzwanzigjährige, um ihr Jahrzehnt Jugend durch den Krieg bestohlen, keinen Mut mehr und keine Kraft. Unwillkürlich seufzt Christine aus ihren Gedanken heraus. Schon das Darandenken, an all das Grauenhafte ihrer Jugend, macht sie müd. Unsinn das alles, was die Mutter angezettelt hat! Wozu jetzt von hier fort und zu einer Tante, die sie nicht kennt, unter Menschen, mit denen sich Christine nicht versteht? Aber mein Gott, was soll sie tun, die Mutter will’s und es macht ihr Freude, so darf sie sich wohl nicht wehren: überhaupt, wozu sich wehren? Man ist ja so müd, so müd! Langsam resigniert nimmt die Postassistentin aus dem obern Fach ihres Schreibtisches einen Foliobogen, faltet ihn sorgfältig in der Mitte, legt ein Linienblatt unter und schreibt sauber, klar, mit schönen Haar- und Schattenstrichen an die Postdirektion in Wien, den ihr gesetzlich zustehenden Urlaub sofort wegen einem Familienanlaß antreten zu dürfen und um Entsendung einer Stellvertreterin von nächster Woche an. Dann bittet sie noch die Schwester, ihr in Wien das Schweizer Visum zu besorgen, einen kleinen Koffer zu leihen und herüberzukommen, um mancherlei wegen der Mutter zu besprechen. Und in den nächsten Tagen bereitet sie alles langsam, sorgfältig und genau für die Reise vor, ohne Freude, ohne Erwartung, ohne Anteil, als gehörte dies nicht zu ihrem Leben, sondern zu dem einzigen, das sie führt: ihrem Dienst und ihrer Pflicht. Die ganze Woche ist gerüstet worden. Die Abende vergehen angestrengt mit Nähen, Flicken, Putzen und Umbessern des alten Bestandes, außerdem hat die Schwester, statt für die gesandten Dollars etwas zu kaufen – besser sie aufsparen, meint die kleine ängstliche Bürgerin –, einiges ihrer eigenen Garderobe geliehen, einen gelbgrellen Reisemantel, eine grüne Bluse, eine von der Mutter bei der Hochzeitsreise in Venedig gekaufte Mosaikbrosche sowie einen kleinen Strohkoffer. Das werde schon genügen, meint sie, im Gebirge mache man keine Toilette, und was allenfalls Christine fehle, kaufe sie besser an Ort und Stelle. Endlich kommt der Abreisetag. Den flachen Strohkoffer trägt der Schullehrer des Nachbarortes, Franz Fuchsthaler, eigenhändig zur Station, er will sich diesen Freundschaftsdienst nicht nehmen lassen. Gleich auf die erste Nachricht ist der kleine schwächliche Mann mit 21
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Rausch der Verwandlung
Titel
Rausch der Verwandlung
Autor
Stefan Zweig
Datum
1982
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
204
Kategorien
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