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Rausch der Verwandlung
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»Ja, Christl«, sagt der Schwager, »was Warmes tat jetzt gut. Aber du müßtest fix machen, denn lang’ können wir nicht bleiben, um fünf geht unser Zug.« Jetzt, die Virginia im Mund, atmet er auf. Ein gutmütig jovialer Magistratsbeamter, der schon als Trainfeldwebel im Krieg und noch eiliger im Frieden sich vorzeitig ein Spitzbäuchlein zugelegt hat, fühlt er sich immer unbehaglich außer in Hemdärmeln und bei sich zu Hause; während der ganzen Zeremonie hat er mühsam ein Leichenbittergesicht aufgesetzt und sich stramm gehalten, jetzt knöpft er den schwarzen Trauerrock, in dem er wie verkleidet aussieht, ein bißchen auf und lehnt sich bequem im Sessel zurück: »War doch gescheit, daß wir die Kinder nicht mitgenommen haben. Nelly hat zwar gemeint, es gehört sich, sie müßten unbedingt beim Begräbnis der Großmutter dabei sein, aber ich hab’s gleich gesagt, so was Trauriges soll man Kindern nicht zeigen, sie verstehen’s eh noch nicht. Und dann schließlich, es ist ja auch furchtbar teuer, das Hin- und Herfahren, eine ganze Masse Geld, und bei diesen Zeiten… « Christine reibt krampfhaft auf der Kaffeemühle. Fünf Stunden ist sie erst zurück, und zehnmal hat sie’s schon gehört, »zu teuer«, das verfluchte, verhaßte Wort. Fuchsthaler hat gemeint, es wäre zu teuer gewesen, den Primarius vom St. Pöltener Spittel zu holen, er hätte ja ohnehin nichts richten können, die Schwägerin hat’s vom Grabkreuz gesagt, man soll’s nicht aus Stein bestellen, »zu teuer«, die Schwester von den Totenmessen und jetzt der Schwager von der Fahrt. Unaufhörlich fließt und tropft es von allen über die Lippen wie der Regen draußen über die Traufe und schwemmt alle Freude fort. Täglich wird das jetzt wieder so tropfen und klopfen: zu teuer, zu teuer, zu teuer! Christine zittert, mit böser Hand reibt sie ihren Zorn in die knirschende Mühle: nur weg, nur weg, nur nichts mehr hören, nichts mehr sehen! Die übrigen sitzen unterdessen in Erwartung des Kaffees still um den Tisch und versuchen ein Gespräch. Der Mann, der die Witwe des Bruders geheiratet hat, ein kleiner Tischlermeister aus Favoriten, sitzt bescheiden geduckt unter den halben Verwandten, er hat sie gar nicht gekannt, die alte Frau; zwischen Frage und Antwort holpert mühselig das Gespräch hin und her und bleibt immer wieder stehen, als läge ein Stein im Wege. Endlich unterbricht der Kaffee, Christine stellt vier Schalen hin – mehr hat sie nicht –, dann geht sie wieder zum Fenster. Das verlegene Schweigen der Vier erdrückt sie, dieses merkwürdig verhaltene Schweigen, das ungeschickt einen und denselben Gedanken versteckt. Sie weiß, was jetzt kommen wird, sie fühlt es in den Nerven, draußen im Vorzimmer hat sie gesehen, daß jeder zwei leere Rucksäcke mitgenommen hat, sie weiß, sie weiß, was jetzt kommen wird, und der Ekel schnürt ihr die Kehle zu. Endlich beginnt der Schwager mit seiner gemütlichen Stimme: »So ein Sauregen! Und die Nelly, vergeßlich wie sie ist, hat nicht einmal einen Schirm 115
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Rausch der Verwandlung
Titel
Rausch der Verwandlung
Autor
Stefan Zweig
Datum
1982
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
204
Kategorien
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