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[I]ch bin der „zurückhaltendsteMensch vonderWelt“unddennoch,wenn ich spreche,
wennichschreibe,bekenntnisfrohwiewenige.UndwährendichdieeinzelnenMenschen
fast scheu vermeide, gebe ichmich inmeinenBüchern schrankenlosmitmeinemHeim-
lichstenhin. Ich fliehedieÖffentlichkeitundstürzemichdochalsSchriftsteller insie,wo
sieambreitesten ist.8
ZumTeil speistesichdieseWidersprüchlichkeitausdemfast schonstereotypen
ToposdesösterreichischenBeamtendichters,derzwischenstaatlicherPflichter-
füllungundkünstlerischerNeigungaufgeriebenwird.
Richard Schaukals Beamtenlaufbahnbegannnach einemvierjährigenStu-
diumder Rechtswissenschaften an der UniversitätWien im Jahr 1897 und en-
detemit seinem freiwilligen Austritt aus demStaatsdienst 1919. Von sehr viel
längererDauerwarhingegenseinWirkenalsSchriftsteller. Schaukal veröffent-
lichte bereits als 16-jähriger Gymnasiast in seinerHeimatstadt Brünn erste Ge-
dichte imMährisch-SchlesischenCorrepondenten.AuchwennderDichter inden
Beiträgen einer Selbstdarstellung (1934) eine tendenziell positiveGrundhaltung
zurgutbürgerlichenHerkunft andenTag legt,war seinVerhältnis zumBürger-
tumaufgrundsoziokulturellerwiehistorischerBrüchebelastet.
Die idealtypische Auffassung vomErfolgsmodell Bürgertumhatte sich spä-
testens zu Beginn des 20. Jahrhunderts verflüchtigt. Über Besitz und Bildung,
Eigeninteresse und Gemeinwohlorientierung sowie über zweckfreie Kreativität
und zweckgebundene Rationalität relativ autonom zu verfügen, waren die ur-
sprünglichen Merkmale eines bürgerlichen Selbstverständnisses.9 Pierre Bour-
dieus Definition des Bürgerlichen trifft überwiegend auch auf Schaukal zu.
Allerdingswar das Bürgertum spätestens nach demErstenWeltkrieg keine ho-
mogene soziale Klassemehr.10 SeineVertreter entstammten zunehmendGesell-
schaftsschichten, die sich nichtmehr eindeutig von anderenMilieus abgrenzen
ließen, sei esvomAdelodervondemderArbeiterundAngestellten.DieKatego-
rie des Bürgerlichen fächerte sich weiter auf, umfasste Ladenbetreiber ebenso
wiemittelständischeUnternehmer,Ärzte, JuristenoderdasIndustriebürgertum.
EinResultat der zunehmendenKomplexitätundHeterogenität der sozialen
Verhältnisse war – so auch bei Schaukal – die Hinwendung zum Erbadel bei
8 Schaukal:BeiträgezueinerSelbstdarstellung.Wien1934,S. 1.
9 Vgl.ManfredHettling:BürgerlicheKultur–Bürgerlichkeit alskulturellesSystem. In:Sozial-
und Kulturgeschichte des Bürgertums. Eine Bilanz des Bielefelder Sonderforschungsbereichs
(1986–1997).Hg.vonPeterLundgreen.Göttingen2000,S.319–339,hierS.324–325.
10 Vgl. Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft.
Aus demFranz. von Bernd Schwibs undAchimRusser. Frankfurt amMain 1994, S. 176–187,
vorallemS. 176–177undS. 182.WeitereMerkmalesind lautBourdieuGeschlecht,Alter,Beruf,
Wohnort sowiediesozialeHerkunft.
4 Einleitung:WiderspruchsgeisteinesBeamtendichters
Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Titel
- Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Autor
- Cornelius Mitterer
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Ort
- Berlin
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-061823-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 312
- Kategorien
- Weiteres Belletristik