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Als Dichter und Kritiker hätte Schaukal die zunehmende Lesefähigkeit als
Vergrößerungdes literarischenMarktesgutheißenkönnen.Docherstenssteigerte
siedieNachfragenachpopulärenundfeuilletonistischenLesestoffen,Genres,die
ernichtbedienenmochte,undzweitensermöglichtesiebildungsfernenSchichten
kulturelleTeilhabeundpolitischenAustausch.21AlsVerfechterdesStändestaates
befürwortete Schaukal keineswegs dieDemokratisierungdes Lesens oderAktivi-
tätendes ‚drittenStandes‘ indenFeldernBildungundKultur.LautBourdieusind
KünstlerundIntellektuelle
hin-undhergerissenzwischenihremInteresse [...] anderEroberungdesMarktesdurchdie
entsprechendenUnternehmungen, sicheinbreitesPublikumzuerschließen,undanderer-
seits der ängstlichen Sorge umdie Exklusivität ihrer Stellung imKulturleben, die einzige
objektive Grundlage ihrer Außergewöhnlichkeit; sie unterhalten daher zu allem,wasmit
„DemokratisierungderKultur“zutunhat,eineäußerstambivalenteBeziehung[...].22
„KeinBlatt ist je stärker gelesen als dieses. GanzWienwird nolens volensGe-
nosse“, schreibt Anton Kuh (1890–1941) 1918 in einemEssay über die Bedeu-
tung der Arbeiter-Zeitung,23 die Schaukal ebenso abonniert hatte wie Die
Fackel.ÄhnlichKarlKraus,derdasZeitungswesen inAnspielungaufseine irra-
tionale Bannkraft und Druckerfarbe als ‚schwarze Magie‘ bezeichnete, lehnte
SchaukaldieVermischungvonLiteraturundBerichterstattungstriktab.Schuld
am„geistigenRuinderWienerGesellschaft“ trügendieaufdieFormbedachten
Zeitungen und das Kaffeehaus; die ausgedehnten, mit dem Zeitunglesen ver-
bundenen Kaffeehausbesuche verkämen zum ästhetischen Selbstzweck und
verringerten die Zeit, welche der kulturellen Bildung undmoralischen Erzie-
hung dienen sollte, so 1891 der sozialliberale Kulturpublizist und zeitweilige
RedakteurderArbeiter-ZeitungEdmundWengraf (1860–1933).24
In der Kritik standen somit Praktiken (Zeitungslektüre und Kaffeehausbe-
such),diediegesellschaftlichenGrenzeneinebneten.AuchdieTheatralisierung
derGesellschaftunddieDekorationsmaniedes Jugendstilswurdenmitdermo-
ralischen Degeneration in Zusammenhang gebracht. Dabei entbehrt es nicht
einer gewissen Ironie, dass Schaukals früheDichtung dem literarischenOrna-
ment verpflichtetwarundseineBeiträge inebenjenenPublikationsorganener-
schienen, diewegender EntwicklungdesRotationsdrucks auch inWien einen
21 Vgl.Osterhammel:DieVerwandlungderWelt,S. 1120.
22 Bourdieu:Die feinenUnterschiede,S.361.
23 AntonKuh:WienohneZeitung. In:Kuh: Zeitgeist imLiteratur-Café. Feuilletons,Essaysund
Publizistik.NeueSammlung.Hg.vonUlrikeLehner.Wien/München1983,S.26–29,hierS.28.
24 EdmundWengraf:KaffeehausundLiteratur. In:DieWienerModerne.Literatur,Kunstund
Musik zwischen 1890 und 1910 Hg. von Gotthart Wunberg. Stuttgart 2006, S. 638–642, hier
S.639.
8 Einleitung:WiderspruchsgeisteinesBeamtendichters
Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Titel
- Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Autor
- Cornelius Mitterer
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Ort
- Berlin
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-061823-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 312
- Kategorien
- Weiteres Belletristik