Seite - 46 - in Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
Bild der Seite - 46 -
Text der Seite - 46 -
3 SozialeWeltundgeistigerRaum
Pierre Bourdieus Verbindung von literaturwissenschaftlicher und soziologi-
scher Analyse sowie seineAusführungen zu Feld undHabitus habenUntersu-
chungenangeregt, die über den textstrukturellenRahmenhinaus auch soziale
Bedingungen literarischerProduktion reflektieren.NorbertChristianWolfgreift
in seiner Studie über Robert Musil auf Bourdieus Sozioanalyse literarischer
Texte zurück.AusgehendvonMarcelReich-Ranickis„affektgesteuerterAbrech-
nung“168mit demRomanDerMann ohne Eigenschaftenund seinemangeblich
„gescheiterten“169 Verfasser legtWolf den Fokus auf die „Rekonstruktion der
sozialen und künstlerischen Voraussetzungen und Konstellationen“170 des
Werks,umdieKategorienErfolgundMisserfolgneuzubewerten.
Der inDieRegelnderKunst (1992; dt. 1999)dargelegte Feldbegriff stellt eine
SonderformderFeldtheoriedarundbedarf einernäherenErläuterung.Bourdieu
untersuchtdarinGustaveFlaubertsRomanL’Éducationsentimentale (1869)nicht
anhand des sozialen Kontextes, in dem er entstanden ist. Er geht imUmkehr-
schlussdavonaus,dassderTextEinblicke indieStrukturdesgesellschaftlichen
Umfeldes liefert, in demFlaubert sich bewegte, als er L’Éducation sentimentale
schrieb.171 Bourdieuvergleicht die imRomanbeschriebenenFelder (Kunst, Poli-
tik, Ökonomie) und ihre Akteuremit Flauberts Positionen und Feldern zur Zeit
desZweitenKaiserreichs.BiographischeLaufbahnenunddie sozialenBewegun-
genderProtagonistinnenundProtagonistenüberträgtBourdieuauf einenStadt-
plan von Paris, um die Dynamik der Schauplätze im Romanmit den sozialen
Räumenzuvergleichen, indenensichFlaubertbewegte.172
Das Werk und die in den unterschiedlichen Feldern agierenden Figuren
spiegeln sich im sozialen wie topographischen Raum. Die Struktur des Textes
unddiederNiederschrift vorgereihteStrukturderFeldererhellenundbeeinflus-
sen sichwechselseitig.173Dies vollzieht sich jedochnicht alspassiveBewegung;
die Reproduktion der sozialenWelt im literarischen Text ist, soWolf, eine „ak-
tive Konstruktionsarbeit“.174 Damit widersetzt sich Bourdieu dem Postulat der
168 Norbert ChristianWolf: Kakanien als Gesellschaftskonstruktion. RobertMusils Sozioana-
lysedes20. Jahrhunderts.Wienu.a. 2011,S. 17.
169Wolf:KakanienalsGesellschaftskonstruktion,S. 15.
170Wolf:KakanienalsGesellschaftskonstruktion,S. 18.
171 Vgl.Wolf:KakanienalsGesellschaftskonstruktion,S.43.
172 Vgl. PierreBourdieu:DieRegelnderKunst.GeneseundStrukturdes literarischenFeldes.
AusdemFranz.vonBerndSchwibsundAchimRusser.FrankfurtamMain2001,S. 77.
173 Vgl.Wolf:KakanienalsGesellschaftskonstruktion,S.43.
174Wolf:KakanienalsGesellschaftskonstruktion,S.47.
46 Einleitung:WiderspruchsgeisteinesBeamtendichters
Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Titel
- Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Autor
- Cornelius Mitterer
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Ort
- Berlin
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-061823-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 312
- Kategorien
- Weiteres Belletristik