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waren. Im Zuge eines Assimilierungsdrucks, der zur Abwendung von jüdischen
Traditionen72undHinwendungzuneuen (bildnerischen, literarischen,musikali-
schen)Ausdrucksmitteln führte, seien jüdischeKünstler besonders empfänglich
fürdieAmbivalenzen ihrerGegenwart gewesen.Daraus resultierte eine selbstre-
flexiveHaltung,diezusammenmitderspannungsreichenDialektik rückwärtsge-
wandterundinnovativerTendenzeneinspezifischesWesensmerkmalderWiener
Modernegeworden sei.73Der jüdischeAnteil andenkulturellenEntwicklungen,
die vonWien aus Europa beeinflussten, ist immer wieder Thema in Debatten
überdieWienerModerne.74
Die Biographie stellte als nicht-progressives, dem Adel affirmativ gegen-
überstehendes Genre ein geeignetes Konsolidierungsangebot zwischen Staats-
macht undStaatsbediensteten zurVerfügung. Schaukals Lebensschilderungen
(darunter auch seine Kritiken) vereinen ästhetische und ideologische Auffas-
sungen, die von seinen frühenAufsätzenetwaüberFerdinandvonSaar (1899/
1900)75 bis zu seinemdrei Jahrzehnte später verfassten EssayKarl Kraus. Ver-
such eines geistigen Bildnisses (1933) sichtbarwerden. Die biographische Form
alsFluchtderneubürgerlichenLiteratenvorgesellschaftlicherundästhetischer
Instabilität istnureineSeitederbiographischenTexteRichardSchaukals.76
3.1 SchaukalsbiographischeEssayistik
Vor allem Schaukals Kraus-Essay ist in dieser Hinsicht bemerkenswert. Der
Text ist ganzunterschiedlichenbiographischenwie literaturkritischenTradi-
tionen des späten 18. sowie des frühen 20. Jahrhunderts verpflichtet und
zeigt historiographische sowie impressionistische Spuren des ausgehenden
19. Jahrhunderts.DieaufDiltheyzurückgehendehermeneutischeBiographik,
das deutende Erleben im Text und die autobiographische Verknüpfung des
72 DieseDynamik führtezumTeilaberauchgeradezueinerstärkeren literarischenAuseinan-
dersetzungmitder jüdischenTraditionoderzurpolitischenHinwendungzumZionismus.
73 Eine übersichtliche Zusammenfassung der hier angesprochenen Forschungsthesen zur
Wiener Moderne findet sich bei Dagmar Lorenz: Wiener Moderne. Stuttgart/Weimar 2007,
S.6–9.
74 Siehe etwadieKontroverse zwischenErnst GombrichundGeorge Steiner, auf die Edward
Timmshinweist;vgl.Timms:DynamikderKreise,S. 11.
75 Vgl.CorneliusMitterer:„WelchwerthvolleundkunstreichgeschmiedetekleineSache.“Ri-
chardSchaukal–LiteraturkritikerderModerne. In:RevistadeFilologíaAlemana,H.24 (2016),
S. 53–65,hierS.61–63.
76 Vgl.Kracauer:DieBiographiealsneubürgerlicheKunstform,S.78.
3 BiographiealsSelbstreflexion 71
Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Titel
- Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Autor
- Cornelius Mitterer
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Ort
- Berlin
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-061823-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 312
- Kategorien
- Weiteres Belletristik