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sehen,103 lässt sichdie impressionistischeLiteraturkritikund ihre subjektivie-
rendeÄsthetik zusammenmitSchaukalsLebensschilderungenalsproduktive
Auseinandersetzung mit ästhetischen Verfahren der Prosa beschreiben. Mit
Blick auf die biographische Gattungmerkt Kracauer an, dass sie eine Reak-
tion auf die „Krisis desRomans“unddes Individuumsdarstelle.104DieMoral
der Biographie sei, dass „sie imChaos der gegenwärtigenKunstübungen die
einzige scheinbar notwendige Prosaformdarstellt“,105 an der sich das verun-
sicherteBildungsbürgertumfesthaltenkönne.
Doch ist auch diese auf den erstenBlick so schlüssige Parallelsetzung von
sozialer Entwicklung und ästhetischer Entfaltung der Biographie nicht ohne
weiteres auf Schaukal zuübertragen. Seine biographischenProdukte sindAus-
druck einerDialektik aus zurückblickendenundmodernenVersatzstücken. Sie
revitalisierenkeineswegsnurältereProsaformen. IndemSchaukal sichmit Tex-
tenwieKarl Kraus in seiner eigenenVorstellungswelt bewegt, vermeidet er das
biographischewie historiographische Spannungsverhältnis aus Objektivierung
der (historischen) Subjekte und einer auf sie einwirkenden Welt. Die soziale
Außenwelt wird durch den Innenfokus ausgeblendet, der einzige Bewertungs-
maßstab fürmoralische, ästhetische, poetologische, ideologische und auch er-
kenntnistheoretische Problemstellungen in Schaukals Texten ist Schaukal. Er
entwickelteinediffuseBegriffsverkettungvon ‚dem‘Selbstverständlichen,Natür-
lichen und Religiös-Metaphysischen, das von unterschiedlichen Denkern des
christlichenAbendlandsbeeinflusst ist, aber imPrinzip eineSuchenachneuen
literarischenAusdrucksmittelndarstellt.
Schaukals Habitus und die damit verbundenen Praktiken, etwa das
selbstkonstitutive Verfassen von subjektiven Lebensbildern, loten biographi-
scheSpielräumeaus.DieHerstellungvonIdentität erfolgt„imSprechen,Han-
deln, Schreiben, im gestischen, stimmlichen, physiognomischen Ausdruck“,
dieeinensolchen„SpielraumdesBiographischen“bilden.106Seinebiographi-
schen Texte vereinen somit ganz unterschiedliche geistesgeschichtliche und
poetologische Momente: Aspekte der impressionistischen Kritik finden sich
darin ebensowiederwiehermeneutischeAnsätze zurBiographik, dazuRück-
griffe auf antidemokratische und antibürgerliche FormenderHistoriographie
sowie eine religiös-metaphysischeAuffassung vonderAutonomie des Kunst-
werks und ihrer geistesaristokratischenBewahrer. All dieseMomente prägen
daskurzebiographischeBildnisüberKarlKraus.
103 Braun/Stiegler:DieLebensgeschichtealskulturellesMuster,S. 14–15.
104 Kracauer:DieBiographiealsneubürgerlicheKunstform,S.76.
105 Kracauer:DieBiographiealsneubürgerlicheKunstform,S.77.
106 Fetz:DievielenLebenderBiographie,S. 11. 3 BiographiealsSelbstreflexion 79
Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Titel
- Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Autor
- Cornelius Mitterer
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Ort
- Berlin
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-061823-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 312
- Kategorien
- Weiteres Belletristik