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Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹ - Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
Seite - 59 -
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Die neuen „Russophilen“ und ihr Russlanddiskurs 59 Ende Oktober 1920 erscheint ein weiteres Zeitungsfeuilleton Roths, in dem das Rußland-Thema wieder aufgenommen wird, der kleine Aufsatz Sowjetausstellung in Berlin. Auf diese Präsentation der neuen russischen Kultur und Kunst reagiert Roth allerdings deutlich kritischer, indem er die Ausstellung ungeschminkt eine „Sowjetpropagandaausstellung“ nennt: Sie zeigt nicht, was in Russland vorgeht, geschaffen wurde, wirkt, zerstört und baut, son- dern was in Russland vorgehen soll, nach dem Willen derer, die es befehlen…Dass befohlen wird, spürt man deutlich. Man befiehlt zum Beispiel:  Idealismus, Gewissen, proletarisches Bewusstsein, Nächstenliebe. Der Zarismus befahl:  Mord, Pogrom, Barbarei. Ein Fortschritt ist also da. Nur:  Es wird eben befohlen. Der Fortschritt ist anbefohlen. […] Hat man sich mit der Tatsache vertraut gemacht, dass in Rußland so ziemlich alle Kunst im weiteren Sinn, das heißt alles Können in das Joch peinlicher Tendenzwirkung gespannt ist, so kann man seine Freude an beidem haben:  am Ausdruck und an der Wirkung.30 Die wichtigsten Punkte seiner Betrachtungen, die auch für seinen späteren Text Reise in Russland (1926) evident bleiben, sind die angestrebte Demokratisierung der Gesellschaft, die Antisemitismusproblematik und das Problem der individu- ellen Freiheit. Interessant an der Ausstellungsrezension ist vor allem die beglei- tende politische Kommentierung:  Das politische System als „anbefohlen[er] Fortschritt“ wirkt auf ihn doch suspekt, und die Errungenschaften des Systems werden, wenn auch anerkannt, so jedoch nicht als authentische empfunden. Eine eindeutige Zuschreibung konkreten politisch-ideologischen Engage- ments erweist sich im Fall von Joseph Roth sohin als problematisch und kaum hilfreich. Roths Gesinnung lässt sich nämlich weniger mit einer bestimmten ideologischen Maxime verknüpfen; vielmehr wurzelt sie in seiner existentiellen Problematik, deren Zentrum die Frage nach der Entfremdung des modernen Menschen bildet. Die Zeit der Massenbewegungen, der „unterschiedlichen Kol- lektivismen“31 zwinge aber das Individuum in die ambivalente Situation, sein Zugehörigkeitsgefühl als Teil einer Masse, eines Kollektivs, einer Partei, einer politischen oder sonstigen Glaubensgemeinde mit seinem Selbstverständ- nis und Persönlichkeitsgefühl abzugleichen und zu überprüfen. In Deutsch- land, so Roth, „muß ich auch […] wenn ich keinen Typus, keine Gattung, kein Geschlecht, keine Nation, keinen Stamm, keine Rasse repräsentiere, dennoch 30 Ders.:  Sowjetausstellung in Berlin. In:  ebd., S.  387f. 31 Robert Musil:  Der Dichter in dieser Zeit. In:  ders.:  Gesammelte Werke in neun Bän- den. Bd.  8. Reinbek b.H.:  Rowohlt 1978, S.  1248.
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Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹ Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
Titel
Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
Untertitel
Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
Autor
Primus-Heinz Kucher
Herausgeber
Rebecca Unterberger
Datum
2019
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-631-78199-9
Abmessungen
14.8 x 21.0 cm
Seiten
466
Kategorie
Kunst und Kultur
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