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Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹ - Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
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Alexander W. Belobratow62 Träger des fleischgewordenen Christentums, das zur geschlagenen einen Wange auch die andere bietet.38 Augenscheinlich entwirft hier Robert Müller ein Bild vom Bolschewismus, das sich mit der wirklichen politischen Bewegung kaum deckt. In seinem Essay Bolschewik und Gentleman sowie in den 1919 und 1920 erschienenen Auf- sätzen Revolutionäre Typen (Das Ziel III, Leipzig 1919)  und Die Kulturpolitik des Bolschewismus (Der Neue Merkur, September 1920)  kommt es zur voll- ständigen Enthistorisierung des Phänomens „Bolschewismus“. Günter Helmes ist zuzustimmen, wenn er bemerkt:  „In eben der Weise, in der er in früheren Abhandlungen vom ‚Germanen‘ oder vom ‚Deutschen‘ sprach, spricht er nun vom ‚Bolschewiken‘.“39 Bei der Darstellung der geistigen Entwicklung des neuen bolschewistischen Staates glorifiziert Müller dessen Kulturpolitik: In der Tat hat das jetzige russische System zwar die russische Wirtschaft annihiliert […]. Unbestritten dagegen ist von allen Augenzeugen aller Nationen der außerordentliche kulturpolitische Fortschritt, den die jetzige russische Gesellschaftsordnung mit sich gebracht hat. Der Grund ist einfach. Staat ist dem Bolschewiken eine ideologische Anstalt. […] Kulturpolitische Maßnahmen werden gegen die finanzielle Kalkulation durchgeführt. Darum ist Rußland das Dorado aller kulturell interessierten […] Individuen geworden. Die englischen, besonders die französischen und die deutschen, sogar die amerikani- schen Künstler schwärmen für Moskau, Lenin und Lunatscharsky. […] Das ist die Wir- kung einer geistigen Forderung. Sie ist plötzlich, von Geistigen geführt, von Millionen getragen.40 Im Unterschied zu Doderer, Roth oder Zweig fehlen Müllers Einschätzungen authentische Russland-Erfahrungen; er war nie in Russland und hatte auch nicht vor, in das bolschewistische Land zu reisen. Vielmehr sind sie aus Texten Ande- rer sowie aus zeitgenössischen Diskurslagen entlehnt und potenziert. Interes- santerweise fallen diese Bewertungen auch mit einzelnen der eher skeptischen Joseph Roths zusammen, in dessen ersten Russland-Reportagen ebenfalls die Hoffnung auf eine „neue Welt“ tonangebend ist:  „Denn eine neue Art, zu schaf- fen und aufzunehmen, zu schreiben und zu lesen, zu denken und zu hören, zu lehren und zu erfahren, zu malen und zu betrachten, ist hier [in Sowjetrußland, 38 Ders.:  Friedensersatz. In:  ders.:  Kritische Schriften II. Paderborn:  Igel 1995, S.  41–43, zit. S.  41. 39 Günter Helmes:  Robert Mueller:  Themen und Tendenzen seiner publizistischen Schriften. Frankfurt a.M.  u.a.:  Peter Lang 1986, S.  216. 40 Robert Müller:  Die Kulturpolitik des Bolschewismus. In:  ders.:  Kritische Schriften II, S.  473–475, zit. S.  473f.
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Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹ Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
Titel
Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
Untertitel
Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
Autor
Primus-Heinz Kucher
Herausgeber
Rebecca Unterberger
Datum
2019
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-631-78199-9
Abmessungen
14.8 x 21.0 cm
Seiten
466
Kategorie
Kunst und Kultur
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