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Rebecca
Unterberger100
dem Essayisten und Romanschriftsteller Julius Haydu, der zwar ‚nur‘ die Neue
Welt im Osten bereist, dabei aber die USA mit in den Blick genommen hat
– vor
allem um Sowjetrussland für (ein zukünftiges) Europa plausibel zu machen. Im
1928 erschienenen utopischen Roman der Sonne ließ Haydu eine Arbeiterregie-
rung „die Menschheit […] zu einem neuen, besseren Dasein“ führen, nachdem
ein „drohende[r] Krieg zwischen Amerika und den versklavten europäischen
Staaten“ abgewendet habe werden können, so Fritz Rosenfeld über „ein antika-
pitalistisches und vom Bekenntnis zur sozialistischen Zukunft der Menschheit
erfüllte[s] Buch“.12 Ein solches Bekenntnis überraschte nicht aus der Feder des
1886 im ungarischen Somogyszil geborenen Juristen, Politikers und Schriftstel-
lers, der 1918 Mitglied der ungarischen Räterepublik gewesen war und 1930 zu
den Mitbegründern des Bundes der proletarisch-revolutionären Schriftsteller
Österreichs zählte.
Haydu hatte die UdSSR in den 1920ern zweimal bereist und über das, was
sich bis zu seiner dritten Reise von 1931 geändert hat (beziehungsweise habe), in
dem Reisebuch Rußland 1932 Auskunft erteilt. Mit der Formel:
„Propaganda für
den Fünfjahresplan“ schloss der Rezensent der Neuen Freien Presse sein ableh-
nendes Urteil darüber kurz. Haydu versuche, „alles in Rußland Werdende als das
große Heil hinzustellen“, zeige (auch mit den vom russischen Staatsverlag bereit-
gestellten Propagandabildern) „lediglich die Licht-, nicht aber die Schattensei-
ten des großen russischen Planes“.13 Probleme wie etwa Wohnungsknappheit
oder die Unterversorgung mit alltäglichen Bedarfsartikeln werden in Rußland
1932 zwar gestreift, doch mitunter lapidar abgetan. „Gegenrevolutionäre Bewe-
gungen stoßen auf eine gut organisierte politische Polizei“, heißt es da zum Bei-
spiel hinsichtlich der Fama von Russland als „Riesenzuchthaus“; denn mit all
diesen „Schwierigkeiten“ habe Russland ja „weit weniger die Einführung eines
neuen Systems als die Rückständigkeit während des alten zu begleichen“.14 Lieber
berichtet Haydu ausführlich von voranschreitender Technisierung und Motori-
sierung und von bereits realisierten Bau-Projekten, die er ohne Einschränkun-
gen seitens des staatlichen Reisebüros Intourist hatte besuchen können. Die USA
Anderen. Paris–Berlin–Moskau (= Reise Texte Metropolen, Bd.
2). Bielefeld:
Aisthesis
2006, S.
101–120, zit. S. 101–103.
12 Fritz Rosenfeld: Neue Bücher. In: Salzburger Wacht (2.5.1928), S. 6f.
13 Otto Deutsch: Rußland 1932. In: NFP (2.7.1932), S. 15.
14 Julius Haydu: Rußland 1932. Wien–Leipzig: Phaidon 1932, S. 155f. bzw. 233.
Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Titel
- Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
- Untertitel
- Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Autor
- Primus-Heinz Kucher
- Herausgeber
- Rebecca Unterberger
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-631-78199-9
- Abmessungen
- 14.8 x 21.0 cm
- Seiten
- 466
- Kategorie
- Kunst und Kultur