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Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹ - Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
Seite - 223 -
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Zur Rezeption des sowjetrussischen Theaters 223 allem die sehr zahlreichen Illustrationen konnten jedoch für die Theaterpraxis der jungen Sozialdemokraten fruchtbar gemacht werden. Ernst Fischer lobte das Buch trotz dessen zuweilen polemischer Ausrichtung, weil es die geistige Wandlung sichtbar mache, die sich in Russland vollziehe;10 Maria Gutmann, die bedeutende sozialdemokratische Schauspielerin, Regisseurin und Theaterleite- rin, schätzte als Praktikerin vor allem die Illustrationen,11 ebenso wie übrigens Bert Brecht, der empfahl, den Text mit einer Schere herauszuschneiden und das ausgezeichnete Bildmaterial zu behalten.12 Keržencevs Programmatik des proletarischen Theaters umfasst prinzipielle Überlegungen und daraus resultierende neue Theatertechniken. Für Keržencev impliziert die Entwicklung des proletarischen Theaters die Kritik, ja die Ver- nichtung des bürgerlichen Theaters, das zu einem Vergnügen einer kleinen pri- vilegierten Schicht verkommen sei. Das proletarische Theater hingegen sei ein Kampfmittel der Arbeiterklasse, sein Thema das Schicksal der Massen und des Kollektivs anstelle des Individualschicksals. Die Schauspieler sind Arbeiter, die an ihrer Drehbank bleiben; Ziel ist die Heranbildung proletarischer Schauspie- ler. Bühne und Publikum sollen vereinigt, die Zuschauer sozusagen zu Mitspie- lern werden. Deshalb müsse die Rampe abgeschafft, nicht im Saal, sondern in Betrieben, in Kasernen, in Arbeitersiedlungen, auf der Straße, wenn möglich im Stegreif gespielt werden. Durch kleine Wandertruppen, die etwa grelle Satiren aufführen, soll das Theater zu den Landarbeitern und Bauern gebracht werden. Die Truppe soll kameradschaftlich organisiert sein, jedes Mitglied alle Aufga- ben übernehmen, jede Schauspielereitelkeit vermieden werden. Als Themen des neuen Theaters benennt Keržencev insbesondere wirkungsvolle Episoden aus der Geschichte der Klassenkämpfe. Formal sollen Kontraste dominieren, der Gegner verspottet und der Triumph der Arbeiterklasse in symbolisch-alle- gorischen Formen dargestellt werden.13 Auf den Kontrast von Verhöhnung des bürgerlichen Gegners und Glorifizierung des Arbeiters sowie auf die Gegen- überstellung von Vergangenheit und Gegenwart in Form drastischer Bilder in 10 Vgl. Ernst Fischer:  Wandlungen des russischen Geistes. In:  Der Kampf, Nr.  11/1927, S.  499–507:  In diesem Artikel verweist Fischer auf das Ende des Proletkults und die neue Rolle der Blaue Blusen-Truppen als Alphabetisierungstruppen. 11 Vgl. Maria Gutmann:  Studiobühne  – Junge Bühne. In:  Kunst und Volk, Nr.  1/1930, S.  17–20. 12 Vgl. Bertolt Brecht:  Die besten Bücher des Jahres 1926. In:  ders.:  Gesammelte Werke. Bd.  18. Frankfurt a.M.:  Suhrkamp 1967, S.  51. 13 Vgl. Kerschenzew, Das schöpferische Theater, S.  68.
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Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹ Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
Titel
Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
Untertitel
Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
Autor
Primus-Heinz Kucher
Herausgeber
Rebecca Unterberger
Datum
2019
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-631-78199-9
Abmessungen
14.8 x 21.0 cm
Seiten
466
Kategorie
Kunst und Kultur
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