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Jürgen
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Wiener die deutschen Artikel über das russische Theater und damit die russische
Entwicklung aufmerksam verfolgten.33 In seinem programmatischen Aufsatz
zum Agitationstheater bezog sich Ehrenzweig explizit auf das Theater Vsevolod
Mejerchol’ds sowie die politischen Kabaretts und politischen Wanderbühnen
sowohl in Russland als auch in Deutschland.34 In seinem Artikel zur Arbeit der
Veranstaltungsgruppe hielt er zusammenfassend fest: „Das russische Proletariat
hat von Anfang an die Bedeutung des Agitationstheaters erkannt und es in den
vordersten Abschnitt des kulturellen Kampfes gestellt.“35
Im Thesenpapier der Moskauer Truppe Die Blaue Bluse wird gefordert, der
Text müsse kurz, klar, anschaulich wie ein Plakat sein. Ein Echo darauf finden
wir in der Polemik gegen die traditionelle Festkultur im sogenannten Urkabarett
von 1926, wo es heißt: „Wo sind die Tricks, du geistiger Akrobat – Wir woll’n
kein Gemälde, wir woll’n ein Plakat!“36 Ehrenzweigs Erinnerungen nach zu
schließen wurde die Varietéform der frühen Programme des Politischen Kaba-
retts von den sowjetischen satirischen Theatern, insbesondere von der Moskauer
Blauen Bluse, angeregt, in deren Thesenpapier zudem zu lesen ist:
Die Blaue Bluse verwendet folgende Verfahrensweisen: die Strategie der Enthüllung,
den Kontrast, die Ding-Allegorie, die symbolische Darstellung. All dies kommt von den
„kleinen Formen“ her, vom „Music Hall“ und den linken Meistern: Meyerhold, Foreg-
ger. […] Die Blaue Bluse, das ist sowjetisches rotes Varieté [sic].37
33 Die Politische Bühne publizierte relativ spät zwei Artikel zu diesem Thema: Leo
Lania: Sowjetrussisches Laientheater. In: Die Politische Bühne, H. 4/1932, S. 68–70;
Georg Dunker: Theater in Sowjetrußland. In: ebd., H. 12/1933, S. 184f. Wie Siebert
(Karl Siebert: Neues Theater in Rußland. In: Der Kuckuck, Nr. 46/1931, S. 15) zeigt
sich Lania beeindruckt von den Tausenden von Arbeiterbühnen und Theaterclubs,
denen er hohes künstlerisches Niveau und starke politische Wirkung bescheinigt,
deren Stil allerdings
– 1932
– entschieden konservativer sei als der der revolutionären
Bühnen Moskaus. In der Kurzrezension der Geschichte des Sowjettheaters (Lenin-
grader Staatsverlag) wird auf die zahlreichen Illustrationen und Zeichnungen Maja-
kovskijs zum Mysterium buffo und Inszenierungsentwürfe Vsevolod Mejerchol’ds
hingewiesen (vgl. Die Politische Bühne, H.
3/1932, S. 55).
34 Vgl. Neon [d.i. Robert Ehrenzweig]: Agitationstheater. In: Sozialistische Veranstal-
tungsgruppe, Das Politische Kabarett, S. 2f., hier S. 3.
35 Robert Ehrenzweig: … die die Welt bedeuten. In: Die Politische Bühne, H. 1/1932,
S. 3–5, zit. S. 5.
36 Das Urkabarett, maschinschr., nicht paginiert, Nachlass Robert Lucas (im Besitz des
Verfassers).
37 N.N.: Qu’est-ce que la Blouse Bleue? In: Denis Bablet (Hg.): Le théâtre d’agit-prop
de 1917 à 1932. Lausanne: L’Age d’Homme 1977, S. 44–46 [Übersetzung J.D.]: Die
Blaue Bluse unterhielt enge Beziehungen mit Mejerchol’d, der in manchen seiner
Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Titel
- Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
- Untertitel
- Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Autor
- Primus-Heinz Kucher
- Herausgeber
- Rebecca Unterberger
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-631-78199-9
- Abmessungen
- 14.8 x 21.0 cm
- Seiten
- 466
- Kategorie
- Kunst und Kultur