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Brands Oper Maschinist Hopkins und die Avantgarde 247
Letztendlich wurde Brand seine jüdische Herkunft aber auch in Österreich
zum Verhängnis und er emigrierte nach Aufenthalten in Prag, der Schweiz und
Rio de Janeiro 1940 endgültig nach New York City. Während seiner amerikani-
schen Phase, die 35 Jahre andauern sollte, öffneten sich für Brand neue Türen –
sinnbildlich mit seinem szenischen Oratorium The Gate, das noch während des
Zweiten Weltkrieges am 23. Mai 1944 in der Metropolitan Opera aufgeführt
wurde. Das Oratorium spinnt Themenstränge, die bereits in Maschinist Hop-
kins anklingen, weiter und beschäftigt sich mit menschlicher Unterdrückung.
Dass Brand immerzu auf der Suche nach ästhetischen Innovationen gewesen ist,
beweisen auch seine ersten elektroakustischen Stücke Ende der 1950er Jahre, die
zudem den seit Maschinist Hopkins ungebrochenen Glauben an die Maschine
und an die Technik als Lebensgrundlage des „neuen Menschen“ bezeugen – ein
Verständnis, das ideologisch mit dem russischen Futurismus kongruent gewe-
sen ist. Bereits 1926 imaginierte Brand die Idee einer elektronischen Musik auf
visionäre Weise:
Allein die Möglichkeit, Werke unabhängig von der Unpräzision und von menschlicher
Unzulänglichkeit wiedergeben zu können, ergibt neue Ausblicke. Und wir ahnen die
Bedeutung voraus, die diese Maschinen kraft ihrer Überlegenheit hinsichtlich Ausführ-
barkeit und Aktionsweite für die Konzeption von Werken in der Zukunft erlangen müs-
sen.32
Als 1979 sein elektronisches Epos The Astronauts, das die erste Weltraumreise
von John Glenn anpries, im Foyer des Wiener Konzerthauses uraufgeführt
wurde, stand der Komponist am Ende seines Schaffens.33 Sein breit gefächertes
Werk ist von einem Streben nach bisher Ungehörtem durchzogen – primär aus-
gehend von den zeitgenössischen dualistischen Positionen des österreichischen
Expressionismus und der zur Hopkins-Zeit blühenden Neuen Sachlichkeit, die
er mit futuristischen Elementen durchwirkte.34 Es sind letztere, die Brands Werk
zusammenhalten und, einer Klammer gleich, die zweite Hälfte seines komposi-
torischen Lebens mit der ersten verbinden.
32 Max Brand: „Mechanische Musik“ und das Problem der Oper. In: Musikblätter des
Anbruch. Nr. 8/1926 (Sonderheft „Musik und Maschine“), S. 336–339, zit. S. 338.
33 Die letzten fünf Lebensjahre verbrachte Brand wieder in Wien.
34 Eine Bestandsaufnahme dieser musikalischen Stilmerkmale erfolgt genauer in der
Detailbetrachtung.
Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Titel
- Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
- Untertitel
- Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Autor
- Primus-Heinz Kucher
- Herausgeber
- Rebecca Unterberger
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-631-78199-9
- Abmessungen
- 14.8 x 21.0 cm
- Seiten
- 466
- Kategorie
- Kunst und Kultur