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Olesya
Bobrik284
Nach Vertragsabschluss wurde damit begonnen, eine bedeutende Anzahl
sowjetischer Ausgaben nach Wien zu übermitteln. Dem französischen Wissen-
schaftler Stéphane Buchon zufolge erfasste die Preisliste der Noten, die bis ein-
schließlich 1930 von Moskau nach Wien geschickt wurden, 486 Nennungen.50
Das war der zweitgrößte Deal der UE in den ersten 30 Jahren ihres Bestehens;
eine größere Zahl von Drucken erwarb sie nur vom Joseph Aibl Verlag in Mün-
chen. Offenbar lehnte die UE kaum etwas ab, was seitens des sowjetischen Part-
ners angeboten wurde. Aus diesem Grund versanken viele Noten aus der UdSSR
im ‚Tote Fracht-Lager‘ der UE und verblieben in Kisten, auf die heute noch
Mitarbeiter des Archivs eher ratlos blicken, wie zum Beispiel auf Partituren des
Streichquartetts op. 8 von Kabalevskij, Kavatinen für Klavierquintett op. 19 von
Evseev, das zweite Streichquartett op. 4 von Ljutošinskij oder das Quartett op. 2
von Šebalin. Es drängt sich der Verdacht auf, dass viele der zugesandten Noten
von der UE in der Zwischenkriegszeit als eine Art Gratis-Anhang zu Drucken
von Werken Mjaskovskijs, Mosolovs, Šostakovičs oder Goedikes, die in Wien
nachgefragt waren, angesehen wurden.
Nach Erhalt der Noten aus der UdSSR und deren eingehender Sichtung
– auch
durch Dirigenten
– entschied die UE-Leitung für sich, welche Werke Erfolgsaus-
sicht besäßen. Über die Verlagsprioritäten berichtet eine kompakte Statistik, die
in der Zeitschrift Anbruch 1931 publiziert wurde. Ihr zufolge führte Mjaskovs-
kij mit 61 Aufführungen in einer Übersicht von 200 ausländischen Aufführun-
gen sinfonischer Werke sowjetischer Komponisten „in den letzten drei Jahren“,
gefolgt von Šostakovič mit 38, Goedike mit 14, Ippolitov-Ivanov mit zehn, Vasi-
lenko mit sechs sowie Knipper und Krein mit je fünf Aufführungen. Im Bericht
wurde auch der große Erfolg von Mosolovs Zavod (dt. Die Eisengießerei) in Paris
erwähnt.51 Die Mehrheit der hier erwähnten international erfolgreichen Kom-
ponisten waren Vertreter konservativer Richtungen; lediglich Šostakovič ist als
junger ‚Experimentator‘ einzuschätzen.
50 Aus dem Brief von S.
Buchon an die Autorin dieses Beitrags vom 9.
März
2004 (Pri-
vatarchiv Olesja Bobrik). Zum vollständigen Katalog russischer Musik, die bei der
UE von 1903 bis 1945 verlegt wurde, vgl. O. Bobrik: Venskoe izdatel’stvo „Universal
Edition“ i muzykanty iz Sovetskij Rossii. Istorija sotrudničestva v 1920–30-e gody
S. 338–449.
51 N.N.: Moderne russische Musik im Ausland. In: Anbruch, Nr. 1/1931, S. 23.
Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Titel
- Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
- Untertitel
- Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Autor
- Primus-Heinz Kucher
- Herausgeber
- Rebecca Unterberger
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-631-78199-9
- Abmessungen
- 14.8 x 21.0 cm
- Seiten
- 466
- Kategorie
- Kunst und Kultur