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Winckelmann im Sammlungsraum: Armut macht Geschichte 135
Antikenhändlers Thomas Jenkins zu einem honorary fellow der Londoner Organisa-
tion gewählt worden36 – eine Ehrung, auf die er über alle Maßen stolz war. Diese Mit-
gliedschaft scheint ihm genug bedeutet zu haben, dass er eine Liste aller Mitglieder der
Society in seinen Wohnräumen aufhing, um den illustren Zirkel, dem er nun angehörte,
gleichsam immer präsent zu haben.37 Auch auf dem Titelblatt der Geschichte wies der
Autor sich als Mitglied der „Königl. Englischen Societät der Alterthümer zu London“
aus.
Die kurze Beschreibung der Villa Albani war also wohl mehr als nur ein Neben-
produkt, sondern dazu intendiert, von wichtigen Leuten gelesen zu werden, und war
entsprechend komponiert. Der rhetorisch überzeugende Moment des Textes ergibt
sich vor allem daraus, dass es Winckelmann gelingt, aus der Diskussion von konkreten
Einzelbeispielen einer Sammlung ein komplett abstraktes System der Stilgeschichte zu
entwickeln. Als Beschreibung einer spezifischen Sammlung kann der Text dennoch
kaum gelten: Kein Wort beschreibt die Räume, in denen sich die diskutierten Statuen
befanden.38 An einem kunsthistorischen „Programm“ in der Aufstellung war
Winckelmann, wie oft betont wurde, augenscheinlich wenig interessiert.39
Die moderne Forschung hat mehrfach betont, dass es sich bei Albanis Villa um den
klassischen Typ einer villa suburbana handelt, bei dem schon die Funktionszuweisung
der einzelnen Räume verhinderte, dass der Eindruck eines Museums entstehen
konnte.40 Es war ein effektvolles, aber kaum kunsthistorisch motiviertes Arrangement.
Autoren wie Wilhelm Heinse schrieben mit maliziösem Oberton, dass das Ganze
„mehr einer Rarität und Fragmenten Sammlung, als dem Lustsitz gleich eines erhabe-
nen Philosophen“ entspreche.41
Hier deutet sich bereits der limitierte Nutzen an, den eine gründ lichere Beschrei-
bung der tatsäch lichen Sammlung für Winckelmann gehabt hätte; ein Argument für
seine Systematik der Geschichte hätte er hieraus nicht gewinnen können, im Gegenteil.
Vielmehr ist es gerade der Verzicht auf den räum
lichen Kontext, der es Winckelmann
erlaubt, seine Stile in einer fast apodiktischen Reihung zu präsentieren – in einer Ord-
nung, die sich in keiner Weise im tatsäch lichen Sammlungsarrangement gespiegelt hat.
Dennoch scheint es, als biete der Sammlungsraum für Winckelmann zumindest
einen unschätzbaren Vorteil: Die Aufgabe der Sammlungsbeschreibung gibt dem
Kunsthistoriker gewissermaßen einen Vorwand zur Reduktion der Datenmenge zu
36 Ebenda, 2. April 1761, 320 (Diskussion des Vorschlags von Jenkins); 9. April 1761, 323 (Aufnahme).
37 Lewis 1961, 196. Winckelmanns lateinischer Dankesbrief für die Aufnahme: Society of Antiquaries
London, Letters & Papers, 1760–1762, 20. Juni 1761.
38 Diese räum liche Dislokation betont auch Tavernier 1986, 99.
39 Vgl. Allroggen-Bedel 1982, 301–380, hier 328: „Wie die einzelnen Statuen angeordnet und aufgestellt
wurden, scheint Winckelmann wenig interessiert zu haben.“ Dies gilt auch für Winckelmanns andere
Schriften: Nur ein einzelner Hinweis in der Geschichte vermerkt etwa, dass Albani Werke aus einem
bestimmten Stein in einem separierten Gebäude aufgestellt habe; vgl. Tavernier 1986, 59.
40 Liebenwein 1982, 461–505; Allroggen-Bedel 1982, 313. Die Anordnung der Antiken in der Villa
ähnelt damit weniger Winckelmanns Geschichte denn einem Werk wie den Monumenti antichi inediti;
vgl. Ernst 1992, 99.
41 Zit. nach Winckelmann (Rehm 2002b), 466.
Schöne Wissenschaften
Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Titel
- Schöne Wissenschaften
- Untertitel
- Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Autor
- Nora Fischer
- Herausgeber
- Anna Mader-Kratky
- Verlag
- Österreichische Akademie der Wissenschaften
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7001-8642-7
- Abmessungen
- 20.9 x 29.3 cm
- Seiten
- 306
- Kategorie
- Kunst und Kultur