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Francesco Caccamo
Außenminister die von den Siegermächten für Österreich vorgeschlagene
oder – besser gesagt – aufgezwungene Lösung Revue passieren ließ, unter-
strich er jedoch die aus dem Anschlussverbot resultierenden Vorteile für Ita-
lien: Wir können uns doch kein allzu starkes Deutschland wünschen, das uns Triest
wieder wegnehmen würde24. War Sonninos Stellungnahme zu diesem Thema
eindeutig, blieb jedoch die Frage bestehen, inwiefern und mit welchen Mit-
teln Italien bereit war, sich in Zukunft für die österreichische Unabhängigkeit
einzusetzen. Die extrem angespannten Beziehungen zu Paris, London und
Washington ließen diesbezüglich wenig Spielraum.
Bevor man diesen Punkt überhaupt klären konnte, geriet die Regie-
rung Orlando Anfang Juni 1919 in eine Krise. So sehr auch der neue italie-
nische Ministerpräsident Francesco Saverio Nitti und sein Außenminister
Tommaso Tittoni darum bemüht waren, sich von ihren Vorgängern zu dis-
tanzieren, mussten beide jedoch bald eine „exzentrische“ Stellung gegenüber
den anderen Siegermächten einnehmen25. Zu den zahlreichen Themen, bei
denen Interessensunterschiede und Meinungsverschiedenheiten weiterhin
vorherrschten, zählte eben die Unabhängigkeit Österreichs, die im Sommer
1919 im Rahmen der Friedenskonferenz und der unmittelbaren Unterzeich-
nung des Vertrags von Saint-Germain erneut in den Mittelpunkt gestellt
wurde. Im Friedensvertrag von Versailles war zwar das Anschlussverbot für
Deutschland verankert worden; es durften aber Österreich keine rechtsbin-
denden Verpflichtungen auferlegt werden. Aus diesem Grund forderte die
französische Delegation Ende August durch ihren Vertreter, den hochange-
sehenen André Tardieu, Wien auf, sich jeglicher Handlung entgegenzustel-
len, die seine Unabhängigkeit unterminieren würde, und die österreichische
Gesetzgebung diesem Ziel anzupassen. Bei der Vorstellung, man könne sich
weitgehend in die innerstaatlichen Angelegenheiten eines Landes einmi-
24 Silvio Crespi, Alla difesa d’Italia in guerra e a Versailles (Diario 1917–1919) (Milano
1938) 541–542, zum 28. Mai 1919. Auf die Aufforderung, in der Öffentlichkeit die aus der Un-
abhängigkeit Österreichs resultierenden Vorteile für Italien zu argumentieren, um die Kritik
über die Entstehung einer Donauföderation, also die kritische Stimme des „Corriere“ zum
Schweigen zu bringen, antwortete Sonnino auf eine eigenartige Art und Weise und zwar,
dass ihm die Angriffe der Presse egal seien (Übers. d. Verf.).
25 Zur Außenpolitik unter der Regierung Nitti und zu der Rolle von Nitti, Tittoni und
seinem Nachfolger im Außenministerium, Vittorio Scialoia, bei der Friedenskonferenz siehe
neben Caccamo, L’Italia e la „Nuova Europa“, auch Paolo Altari, Nitti, D’Annunzio e la ques-
tione adriatica (1919–1920) (Milano 1959); Luca Micheletta, Italia e Gran Bretagna nel primo
dopoguerra, 2 Bde. (Roma 1999).
Die schwierige Versöhnung
Italien, Österreich und Südtirol im 20. Jahrhundert
- Titel
- Die schwierige Versöhnung
- Untertitel
- Italien, Österreich und Südtirol im 20. Jahrhundert
- Autoren
- Andrea Di Michele
- Andreas Gottsmann
- Luciano Monzali
- Herausgeber
- Karlo Ruzicic-Kessler
- Verlag
- Bozen-Bolzano University Press
- Ort
- Bozen
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-88-6046-173-5
- Abmessungen
- 16.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 616
- Schlagwörter
- 20. Jahrhundert, Österreich, Südtirol, Italien, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918