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Die italienische Führungsschicht und die Entstehung der österreichischen Republik
Er führt weiter aus:
Dieses Österreich, das gezwungenermaßen als unverheiratete Frau dasteht
und unfähig ist, auf sich allein gestellt zu sein, muss sich notgedrungen an je-
manden anlehnen. Wenn Italien die Situation gut meistert und Südtirol sowie
die Bahnverbindungen strategisch anwendet, so wird die „italophile“ Politik
Bauers zum Schluss die Oberhand gewinnen. Demzufolge wird Österreich,
das zwei Jahrhunderte lang über Italien regierte, zu einem italienischen Ein-
flussgebiet (aus politischer sowie auch aus ökonomischer Sicht). Dieses Ergeb-
nis ist deswegen vorranging und gibt uns in gewisser Weise die notwendige
Zeit, Südtirol einzuverleiben und dabei sonstige Probleme zu beseitigen. Aus
diesem Grund ist diese Lösung einem sofortigen Anschluss Österreichs an
Deutschland vorzuziehen. Österreich (dessen Selbstbestimmung von uns ver-
teidigt wird) im Griff zu haben, bedeutet auch, eine unglaubliche Waffe zu
besitzen, um auf die französische Politik Einfluss auszuüben und diese in die
Richtung einer Versöhnung zu lenken. Selbstverständlich hätte dieses Ergeb-
nis ohne unsere Kampagne für die österreichisch-deutsche Vereinigung nie
erreicht werden können. Ohne sie hätten Sonnino und Tittoni die Entstehung
der Donauföderation herbeigeführt.30
Diese Analyse nahm die in den Folgejahren für Österreich geltende Lösung
eines faktischen „doppelten“ Verbots – des „Anschlusses“ einerseits und der
Donauföderation andererseits – vorweg, das an das Pariser System gebunden
blieb. Gleichzeitig deuteten die Worte Borgeses darauf hin, dass diese Hal-
tung keine absolute, sondern nur eine relative Bedeutung hatte. Dass man
dem „Corriere“ Verdienste zuschreiben wollte und dabei nur zum Teil Kritik
an den Vertretern der offiziellen Diplomatie übte, zeigt, dass die während
des Krieges und der Friedenskonferenz durch die österreichische Frage aus-
gelösten inneren Spaltungen nicht überwunden waren. Ganz im Gegenteil:
Diese drohten jederzeit wieder aufzuflammen. Zudem lassen die Aussagen
des Journalisten des „Corriere“ darauf schließen, dass Italien seine „exzen-
trische“ Stellungnahme gegenüber den anderen Großmächten beibehielt.
unter Anführungszeichen setzt. Dadurch wird einmal mehr bestätigt, dass er und die von
ihm angesprochene Gruppe andere Befürchtungen hatte.
30 Ebd.
Die schwierige Versöhnung
Italien, Österreich und Südtirol im 20. Jahrhundert
- Titel
- Die schwierige Versöhnung
- Untertitel
- Italien, Österreich und Südtirol im 20. Jahrhundert
- Autoren
- Andrea Di Michele
- Andreas Gottsmann
- Luciano Monzali
- Herausgeber
- Karlo Ruzicic-Kessler
- Verlag
- Bozen-Bolzano University Press
- Ort
- Bozen
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-88-6046-173-5
- Abmessungen
- 16.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 616
- Schlagwörter
- 20. Jahrhundert, Österreich, Südtirol, Italien, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918