Seite - 42 - in Spital als Lebensform - Österreichische Spitalordnungen und Spitalinstruktionen der Neuzeit, Band 1
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42 Das Ordnungsgeflecht in österreichischen Spitälern in der Frühen Neuzeit
Aufnahmekriterien102, auf die Liste der Bußen im Fall von Übertretungen103, auf die Wirt-
schaftsführung104, auf die Finanzverwaltung105, auf die Klassifizierung der Armen106, auf
die Hausordnung und Disziplinierung der Insassen107, auf die religiösen Pflichten, auf die
verabreichten Nahrungsmittel108 oder auf eine minutiöse Arbeitsplatzbeschreibung des
Spitalpersonals beziehen109. Eine idealtypische Spitalordnung gibt es also nach diesem
ersten länderübergreifenden Befund nicht, vielmehr ist von einer thematisch vielfältigen,
formal divergenten Quellengattung, die zudem von starken Wandlungen durch die Jahr-
hunderte geprägt war, auszugehen.
Nach einem funktionalistischen Definitionsansatz waren die zwischen Norm und
Praxis, Akzeptanz und Widerstand eingespannten, „policeylichen“ Spitalordnungen als
„Instrument“ zu verstehen, die der „konkreten Umsetzung von Vorgaben aus dem Be-
reich der normativen Verhaltensstruktur in die Lebenspraxis des institutionellen Alltags
dienen“110. Die vom Spitalbetreiber erlassenen Spitalordnungen dienten als „normierte
Lebensgrundlage“ und erscheinen „am monastischen Leben“111 orientiert. Diese Textsorte
erhält Geltung nur im Rahmen der „universitas“ Spital. Die Spitalordnungen besaßen
Vertragscharakter für die „Mitglieder“ und gehörten dem Bereich der freiwilligen Juris-
diktion an112. Die Spitalordnungen mussten sowohl für die Mitglieder als auch für die
meist städtische Gesellschaft „nützlich“ und „gerecht“ sein, zudem durften sie nicht mit
den übergeordneten, in der Frühen Neuzeit zunehmend territorialen Rechtsregelungen
im Widerspruch stehen. Kritisch betrachtet versuchten die häufig aus dem Geist der Krise
bzw. einer „Umbruchsphase“113 geborenen Spitalordnungen in der Regel eine Reform-
debatte entweder „zu sistieren oder in konkrete Normen zu übersetzen“114. Lange von
der Forschung kaum gesucht, wurde die breite Überlieferung der als Hausordnung und
Dienstanweisung für Personal und Insassen aufzufassenden Spitalordnungen unterschätzt,
102 Ordnung für das Heilig-Geist-Spital in St. Gallen von 1228: Krauer–Sonderegger, St. Gallen
426f.
103 Spitalordnung des St. Johannes-Spitals bei Reval von ca. 1448: Mänd, Hospitals 552–554.
104 Ordnung für das Heilig-Geist-Spital in Basel: Rippmann–Simon-Muscheid, Basler Heilig-Geist-
Spital 359–362.
105 Generalkapitel der Bruderschaft Santa Maria della Carità in Padua von 1503: Bianchi, Health and
Welfare Institutions 233–235.
106 Siehe die englische Armenhausordnung von 1580 bei Archer, Sources 114–125.
107 Schlenkrich, Von Leuten auf dem Sterbestroh 91f.; am Beispiel des St. Elisabethspitals in Bam-
berg („Ordnung der pfrundner im Spitale“ 1489) Reddig, Bürgerspital und Bischofsstadt 199f.
108 Ordnung mit der Zuteilung von Nahrungsmitteln an die Insassen des Schiferschen Erbstiftes in
Eferding um 1430: Weigl–Just, Quellen 287–289; Ordnung mit der Zuteilung von Nahrungsmitteln an die
Insassen des Schiferschen Erbstiftes in Eferding um 1450: Weigl–Just, Quellen 289–293. Als Beispiel aus
Hamburg (Speiseordnung des Heilig-Geist-Hospitals zu Hamburg von 1671) Hatje, Frühneuzeitliche Quellen
513–520. Am Beispiel des Patrimonialspitals in Böhmisch Krumau von 1711 Hlaváčková, Böhmische und
mährische Spitäler 612–614.
109 Ordnung für das Heilig-Geist-Spital 1442 in Basel: Rippmann–Simon-Muscheid, Basler Heilig-
Geist-Spital 359–362; als Grundlage für personalgeschichtliche Untersuchungen Amthor, Die Geschichte der
Berufsausbildung 111–129.
110 Gert Melville zitiert nach Stanislaw-Kemenah, Spitäler 417.
111 Jankrift, „damidt auch friedt“ 328; Clementz, Leprosen 107.
112 Diese auf Bruderschaftsstatuten basierende, aber teilweise auch für Spitäler verwendbare Definition
der Statuten orientiert sich an Frank, Rechtsgeschichtliche Anmerkungen 311f.
113 Uhrmacher, „Zu gutem Frieden“ 166; vor allem aber Ders., Lepra 118–182; Crabus, Kinderhaus
156–160.
114 Frank, Hospitalreform 125.
Spital als Lebensform
Österreichische Spitalordnungen und Spitalinstruktionen der Neuzeit, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Spital als Lebensform
- Untertitel
- Österreichische Spitalordnungen und Spitalinstruktionen der Neuzeit
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Scheutz
- Alfred Stefan Weiß
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79639-8
- Abmessungen
- 17.5 x 24.7 cm
- Seiten
- 432
- Kategorie
- Medizin